Utøya 22. Juli

Filmtipp von Matthias (Theaterleiter)

Es gibt Filme, denen man mit einer gewissen Distanz begegnet. Das Massaker von Utøya als Spielfilm? Nachgespielte Szenen so eines Ereignis? Bringt das Erkenntnisgewinn? Ist das nur ein Gewalt-Porno? Auch im Casa-Team wurden diese Fragen diskutiert.

Ich habe den Film in der Weltpremiere auf der Berlinale gesehen. Er hat mich ab der ersten Sekunde nicht losgelassen und wirkt bis heute nach – etwas, was gerade im turbulenten Festival-Betrieb nur ganz selten ein Film schafft. Er ist technisch brillant, extrem gut gespielt. Er schafft es, das Gefühl zu erzeugen, dabei zu sein bei diesen Jugendlichen, die die schlimmsten 80 Minuten ihres Lebens durchleiden mussten.

Zum Ende der Vorstellung dann das Gefühl, einerseits ein ganz besonderes Kunstwerk erlebt und andererseits einen Alptraum durchlitten zu haben – und zwar einen, der anders als bei einem Horrorfilm der Alptraum realer Menschen war. Ich war unsicher, ob das sehr gut oder grauenvoll war – und konnte die Reaktion des Publikums nicht einschätzen: Würde der Film ausgebuht werden, würden die Zuschauer den Saal verlassen? Tatsächlich geschah das Gegenteil: Es gab Standing Ovations und den längsten Applaus, den ich jemals bei einer Berlinale-Vorstellung erlebt hatte.

Der Regisseur Erik Poppe kam auf die Bühne, zusammen mit Überlebenden des Anschlags. Und die beantworteten die Frage, ob es so einen Film geben darf – geben muss: Nach dem Anschlag wurde in Norwegen und weltweit vor allem über den Attentäter geredet, über das Versagen von Polizei und Politik. Über die Opfer wurde wenig geredet. Für die Opfer ist dieser Film der Weg, dass ihre Position gehört wird – daher wurde der Film radikal aus ihrer Sicht gedreht.

Der Attentäter ist im Film nur kurz und schemenhaft zu sehen. Sein Name fällt nicht – auch im Pressematerial ist er nicht zu lesen und der Verleih fordert uns Kinos auf, ihn nicht zu nennen.

Utøya 22. Juli ist ein Film, den manche Menschen vermeiden werden – mit gutem Grund. Er ist ein Film, der an die Grenzen des Erträglichen geht. Er ist aber auch ein Film, der den Opfern gerecht wird. Ein Film, der lange nachwirken wird – ein Meisterwerk, das man im Kino sehen muss!

Utøya 22. Juli ist ab dem 20. September bei uns zu sehen!
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