Schattenkind
Montag, 30. Januar, 19:00 Uhr:
Der Gewinner-Film des Granit Dokumentarfilm-Preises der Internationalen Hofer Filmtage auf Kinotour:
Regisseur Jo Müller und Protagonist Andreas Reiner kommen ins Casablanca.
Moderation: Thorsten Schaumann (Leiter der Internationalen Hofer Filmtage)

Was ist das Geheimnis dieses Mannes, der gut zwei Dutzende Menschen dazu bringt, ein Superman-Kostüm anzuziehen, sich auf ihr altes Mofa zu setzen und für einen Kalender zu posieren?

Warum stellen sich 40 Menschen nackt in einen völlig kargen und durch den Klimawandel zerstörten Wald und warten darauf, dass sie endlich die Augen aufmachen dürfen und der Fotograf Andy Reiner auf den Auslöser drückt? Für dieses eine Bild.

Warum erzählen Frauen die Geschichte ihrer Fehlgeburten und lassen zu, dass Reiner genau den Moment festhält, in dem ihr Schmerz am größten ist?

Und warum tut Fotograf Andy Reiner selbst, geboren 1968 in Wangen (Kreis Göppingen), das alles überhaupt? Warum fotografiert der Mann, der mit seinem Ochsen Anton, der Kuh Lore und seiner Bernhardinerhündin Pauline auf einem alten Bauernhof in Galmutshöfen (Kreis Biberach) lebt, Menschen mit ihren Grabbeigaben im Sarg?

Andy Reiner ist Fotograf geworden, weil das Leben ihn dazu genötigt hat. Wer ihn in Jo Müllers Dokumentarfilm „Schattenkind“ mit seinem alten Mercedes-Wolf-Geländewagen durchs Oberschwäbische fahren sieht, erlebt ein Roadmovie durch Andy Reiners Leben – und begreift. Zwei Jahre hat Müller ihn begleitet und das alles zu einem 90-Minuten-Destillat verdichtet. So wie Reiner das Leben in seinen Bildern verdichtet.

Reiner kennt den Schmerz. Er weiß, wie er einen aus der Bahn werfen und welche Kraft er zugleich freisetzen kann. Sein Vater stirbt, als er 15 Jahre alt ist. Die Mutter nimmt sich, einen Tag vor seinem zwanzigsten Geburtstag, das Leben. Nun braucht er selbst Rettung. Reiner verbringt mehrere Jahre in der Psychiatrie. Die Fotografie wird zu seiner Sprache. Und sie ist gleichzeitig sein Mittel, um die Verbundenheit mit denen zu zeigen, deren Leben ebenfalls in Kipplage geraten ist oder war.

Er liebt diese Menschen. Helmut, den Mann mit kognitiver Beeinträchtigung, der sich mit einer Banane in der Hand im schwarzen Anzug wie James Bond hinstellt und so herrlich Gitarre spielt. Oder Hans, der in dem Ort, in dem Reiner aufgewachsen, in seinem Elternhaus nach deren Tod weiterlebt, weil der ganze Ort sich um ihn kümmert. Immer wieder besucht Reiner seine Protagonisten. Weil er sie mag und weil sie ihn mögen. Der Regisseur Jo Müller zeigt einen Menschen, für den Fotografieren ein Akt der Solidarität ist. Der Erdung lebt und wenn er eine Idee erfolgreich umgesetzt hat, aber auch sehr zufrieden ins sich reinlachen kann. Weil auch das Leben ist.




Donnerstag, 26. Januar 2023
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Casablanca

Doku | D 2022 | R: Jo Müller | 88 Min. | ab 12 | dt. Originalfassung