CasaAkademie@Home: Rückblick deutscher Film 2021
Normalerweise findet die CasaAkademie entweder im im Kinosaal oder im CasaLaden statt – als Format, in dem es möglich ist, tiefer in die Materie “Film” einzutauchen und noch mehr über Genres, Filmschaffende oder andere Themen zu erfahren.

Corona macht auch diese Veranstaltungen unmöglich – und deshalb gibt es jetzt die CasaAkademie@Home.

Wie jedes Jahr präsentieren wir einen Überblick über die besten Filme des zurückliegenden Jahres aus Deutschland, vorgestellt von Rainer Mesch

Begrüßung und Einleitung

 

Das Filmjahr 2021

Das Filmjahr 2021 war ja wie schon 2020 ein Corona-Jahr und somit ein dramatisches Jahr für die Filmbranche. Von November 2020 an bis Juli 2021 waren alle Kinos bundesweit geschlossen. Nachdem im Verlauf des ersten Halbjahres immer mehr sowohl publikumswirksame (wie z.B. die Fortsetzung des „Brandner Kaspar“) als auch anspruchsvolle deutsche Filme (wie „Und morgen die ganze Welt“) an streamingdienste verkauft wurden, musste man schlimmstes befürchten. Nur dank großzügiger Förderprogrammen des Bundes und hierzulande auch des Freistaates Bayern und vor allem dank zahlreicher Spenden war für viele Kinos ein Überleben überhaupt möglich. Als im Sommer ein Kinobesuch wieder möglich war, lief dieser zunächst eher zögerlich an. Im September und Oktober kam es zu einem Massenstart zahlreicher besonders sehenswerter Filme, die bereits mehrmals verschoben worden waren. Einige davon gingen im Konkurrenzdruck unter und hatten nicht die Zuschauerzahl, die sie verdient hätten. Erfolgreich hingegen war, was ohnehin bekannt war oder zumindest genügend Medienaufmerksamkeit hatte. Als schließlich im November die 2Gplus Regelung eingeführt wurde und bayerische Kinos nur noch zu 25 % ausgelastet sein durften, kam es erneut zu einem massiven Zuschauerrückgang, einige Kinos haben ihren Betrieb erstmal eingestellt.

Für die Mainstreamkinos wurde das dramatische Filmjahr immerhin durch das „Kaiserschmarrndrama“ gemildert. Damit meine ich den 7. Streich der Verfilmung der bayrischen Eberhofer-Provinzkrimis von Rita Falk. Der hatte immerhin innerhalb kürzester Zeit über eine Million Besucher. Damit konnte er zwar mit dem neuen und seit Frühjahr letzten Jahres mehrmals verschobenen James-Bond-Film nicht mithalten, der auf die sechsfache Besucherzahl kam, aber so ein Dorfpolizist ist halt eben auch kein so ein Superheld wie Daniel Craig. Aber die Eberhofer-Filme sind zunehmend auf Grund ihrer Machart bei immer einem größeren Publikum Kult, der neue hat sogar durchgehend passable Kritiken bekommen und durfte das Münchner Filmfest eröffnen. Der Regisseur dieser Reihe heißt Ed Herzog und ist in Bayern durch seine Publikumspreise für die Eberhoferfilme als auch durch einen beim Filmfest ausgezeichneten TV-Film („3 ½ Stunden“) ein Begriff. Vom Regisseur des neuesten Bondfilms, Cary Joji Fukunaga, kann man das zumindest in Bayern nicht behaupten. Da hat dann der Eberhofer Franz den James Bond doch etwas voraus.

Einen Namen im deutschen Film hat sich in den 90er Jahren Sönke Wortmann z.B. mit seinem „Der bewegte Mann“gemacht. Auch mit Literatur- und Theaterverfilmungen war er in den Folgejahren sehr erfolgreich („Das Superweib“, „Die Päpstin“, „Frau Müller muss weg“). Dessen neuer Film „Contra“ war 2021 nach dem „Kaiserschmarrndrama“ und der Blödelkomödie „Catwaezle“ mit Otto Waalkes der drittstärkste deutscher Besucherfilm.
Er ist eine Komödie über einen arroganten Professor, der sich über eine arabischstämmige Studentin lustig gemacht hat und ihr nun Einzelunterricht in Rhetorik im Rahmen eines Vortragswettbewerbs geben muss, damit er nicht von der Hochschule fliegt. Auf diese Weise ist das Thema Diversität löblicherweise nun auch im gepflegten deutschen Unterhaltungskino angekommen, möchte man meinen. Das Lob für diesen Film hat nur einen Haken. Wie schon bei „Der Vorname“ vor vier Jahren handelt es sich auch hier um ein Remake eines französischen Films aus dem Jahre 2018, der hieß auf Deutsch „Die brillante Madmoiselle Neila“. In diesem Film hat Daniel Auteuil den Professor gespielt und war wesentlich überzeugender als Christoph Maria Herbst, dessen Figur man in der deutschen Fassung unnötigerweise eine (entschuldigende) tragische Familiengeschichte hinzugefügt hat.
Sönke Wortmann setzt mit seinen Literaturverfilmungen und Remakes in Gegensatz zu seinen frühen Filmen leider auf in Zukunft auf Bewährtes. Auf sein Remake vom „Vornamen“ soll demnächst ein Fortsetzungsfilm folgen – mit dem nicht gerade originellen Titel „Der Nachname“. Ein bisschen mehr Innovation dürfte es auch im mainstreamkino sein.

 

„Ich bin Dein Mensch“ von Maria Schrader

Dieses Jahr waren drei deutsche Filme im Wettbewerb der Berlinale und alle lohnt es sich vorzustellen. Ich beginne mit „Ich bin Dein Mensch“ von Maria Schrader, denn der wurde kürzlich in die Auswahlliste für den besten fremdsprachigen Film (die shortlist), also für den Auslandsoscar aufgenommen. Ich wette mit Ihnen, er wird den Oscar nicht bekommen, denn er handelt nicht wie sonst nominierte deutsche Filme von der Vergangenheit, also meistens der NS-Zeit (wie „Die Blechtrommel“) oder Stasi-Verstrickungen (wie „Das Leben der anderen“), sondern welch Wunder, von der Zukunft.

Die Amerikaner würden ihn wohl als Sci-fi-rom-com bezeichnen. Also als romantische Komödie, die in der Zukunft spielt. Wobei der Zukunft in diesem Film gar nicht so sonderlich anders ausschaut als heute. Es sind keine selbstfahrenden Autos zu sehen, es gibt noch keine Flugtaxis, aber immerhin Androiden, die nicht nur menschengleich aussehen, sondern auch deren Verhalten und Eigenschaften perfekt zu kopieren wissen. Ein männliche Musterexemplar dieser Gattung soll unsere Protagonistin, eine der strengen Ratio verpflichtete Wissenschaftlerin auf seine künftige Einsetzbarkeit hin eine Woche lang austesten. Und dieser künstliche Mensch hat auch eigentlich alles drauf, was sich eine Frau so von einem Mann wünschen könnte. Nur merkt sie das natürlich anfangs nicht so recht, wie das eben in einer Komödie so üblich ist. Das sich die anfängliche Abneigung im Lauf des Films in Zuneigung verwandelt, verwundert in diesem Genre nicht.

Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Emma Braslavsky und kommt trotz der philosophischen Dimensionen, die solch ein Thema zwangsläufig in sich birgt, sehr leichtfüßig daher. Er hat intelligente Dialoge und tolle Situationskomik und über allem steht natürlich das Thema Liebe. Beim diesjährigen Bundesfilmpreis hat er die vier wichtigsten Auszeichnungen bekommen, nämlich für die Kategorien bester Film, Regie, Drehbuch und Hauptrollle. Maren Eggert bekam sogar bei der Berlinale den Goldenen Bären für ihre Darstellung der Hauptfigur.

Der Film wurde ursprünglich beim SWR als Fernsehfilm konzipiert (und leider auch bereits kürzlich im Fernsehen ausgestrahlt) und das merkt man ihn beim genauen Hinschauen auch an. Maria Schrader hat dem Stefan-Zweig-Film “Vor der Morgenröte“ und der Serie „Unortodox“ bewiesen, dass sie als Regisseurin über ein wesentlich größeres filmisches Potential verfügt. Trotzdem handelt sich hier um einen wenn auch etwas voraussehbaren, aber doch intelligent gemachten deutschen Unterhaltungsfilm von der Sorte, wie es im deutschen Kino viel zu wenige gibt und die das deutsche Kino braucht. Ich schließe mich deshalb der Meinung der Süddeutschen Zeitung an, die anlässlich der Filmpreisverleihung monierte, vier Hauptpreise für diesen Film seien etwas zu viel des Guten, aber zwei bis drei hätte er auf jeden Fall verdient.

 

„Nebenan“ von Daniel Brühl

Über einen ähnlichen Unterhaltungswert wie „Ich bin Dein Mensch“ verfügt auch der zweite
deutschen Berlinale-Beitrag, das Regiedebüt „Nebenan“ von Daniel Brühl. Genauso wie Maria Schrader ist nun auch Daniel Brühl ins Regiefach gewechselt und hat zusammen mit dem renommierten Schriftsteller Daniel Kehlmann ein kleines Kammerspiel geschrieben, dass sich zum Großteil in den Räumlichkeiten einer kleinen Berliner Kiezkneipe abspielt. Daniel Brühl – und das macht natürlich den Reiz dieses Films aus – spielt quasi sich selbst, einen in kurzer Zeit erfolgreich gewordenen deutschen Jungschauspieler, der nun einen Casting für einen Hollywoodfilm entgegenfiebert. Unglücklicherweise wird er davon durch eine Begegnung mit einem älteren Herrn (großartig unterkühlt gespielt von Peter Kurth) abgelenkt, der sich nicht nur als sein Nachbar, sondern auch als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter entpuppt. Und der über seine Gewohnheiten und Seitensprünge nicht nur bestens Bescheid weiß, sondern auch nebenbei die Kreditkartendaten des Schauspielers geknackt hat. Er hat als langjähriger Kiezbewohner durch seinen aus dem Westen zugezogenen wohlhabenden Nachbarn so manche Zumutungen und Kränkungen erlebt, für die er entschädigt werden möchte. Am liebsten würde er seinen Nachbarn ganz los werden und er kennt da so seine Methoden.

Das Ganze ist ein sehr kurzweiliges und durchaus auch spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Man kann sich wunderbar darüber amüsieren, wie Daniel Brühl seine eigenen Karriereschritte in seine Figur bzw. die Dialoge mit einarbeitet und es macht großen Spaß zu sehen, wie er sich dabei selbstironisch auf die Schippe nimmt. Meine Lieblingsszene ist die, in der er von einem jungen Paar um ein Selfie gebeten wird. Er stellt sich sofort bewusst lässig in Positur
und muss sogleich konsterniert feststellen, dass ihn die jungen Leute offenbar gar nicht kennen, sondern nur ein gemeinsames Foto von sich selbst haben wollten. Ich kenne keinen deutschen Filmschauspieler, der seine Eitelkeit so der Lächerlichkeit preisgibt. Hut ab !
„Nebenan“ ging beim deutschen Filmpreis leider völlig leer aus, wurde nicht einmal nominiert. Schade, offenbar ist in der Filmbranche der ironisch-selbstkritische Umgang mit dem Star-Status nicht gefragt – oder am Ende nicht erwünscht….?

 

„Fabian oder der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf

Dieser dritte deutsche Wettbewerbsbeitrag war der große Favorit beim diesjährigen deutschen Filmpreis. Bei nur 3 Auszeichnungen von insgesamt 10 Nominierungen war er aber im Grunde der eigentliche Verlierer bei dieser Veranstaltung.

„Fabian“ ist eine Literaturverfilmung des 1931 erschienen und von den Nazis verbotenen Roman „Fabian Geschichte eines Moralisten“ von Erich Kästner und war bereits 1980 verfilmt worden. Er handelt von einem jungen Schriftsteller (gespielt von Tom Schilling), der als Werbetexter für einen Zigarettenhersteller arbeitet und in der Weltwirtschaftskrise arbeitslos wird. In einer Zeit, in der Deutschland nicht nur moralisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich am Abgrund steht, muss er sich durchschlagen und versuchen, seinen moralischen Ansprüchen treu zu bleiben. Die Lage spitzt sich für ihn immer mehr zu, als sein Schriftstellerfreund Selbstmord begeht und seine große Liebe sich vom Filmgeschäft korrumpieren lässt.

Wenn Dominik Graf so einen Stoff in die Hand nimmt, ist von vorneherein klar, dass hierbei keine konventionelle Literaturverfilmung herauskommt. Graf ist in Deutschland ein sehr geschätzter Genrefilmer, leider arbeitet er überwiegend für das Fernsehen. Seine Tatort-, Polizeiruf- und sonstigen Krimis sind aber auch unter Cineasten Kult. Er pflegt einen sehr eigenen Regiestil, der oft ruppig und rau wirkt und er setzt z.B. sehr häufige Reißschwenks ein, um das Erzähltempo voranzutreiben. Er versteht sein Actionhandwerk wie kein anderer, viele seiner Filme sind pures Adrenalin.

Auch „Fabian“ ist für den Zuschauer eine Herausforderung, vor allem in optischer Hinsicht: Dominik Graf mischt wild verschiedene Filmformate, Gegenwart mit historischen Dokumentarfilmszenen, schwarzweiß- und Farbsequenzen durcheinander. Sämtliche filmische Ausdrucksformen (sogar das in letzter Zeit in Vergessenheit geratene splitscreen-Verfahren) kommen bei ihm zum Einsatz. In seiner Entschiedenheit, sämtliche sonst üblichen Erzählformen über den Haufen zu werfen, wird er vielleicht manche Zuschauer überfordern. Hinzu kommt, dass der Film auch geschlagene 3 Stunden dauert. Doch das lange Zuschauen lohnt: „Fabian“ ragt wie ein Monolith aus einer deutschen Filmlandschaft hervor, die sich zu wenig traut und häufig nur erzählerisches Mittelmaß zu bieten hat. Zu Recht bekam er immerhin für seinen filmischen Wagemut den Filmpreis in Silber und Auszeichnungen für die beste Kamera und den besten Schnitt.

 

Zwei weitere Literaturverfilmungen

Gleich zwei weitere und von ihrem Ansatz her sehr unterschiedliche Literaturverfilmungen kamen dieses Jahr heraus und hatten größere Zuschauerzahlen aufzuweisen:

Die „Schachnovelle“ von Philipp Stölzl ist die Verfilmung des letzten Werks von Stefan Zweig, das dieser vor seinem Selbstmord im brasilianischen Exil geschrieben hat und gehört zur Standardliteratur an deutschen Schulen. Sie erzählt von einem Notar, der von den Nazis festgesetzt und in Isolierhaft genommen wird, um an Grundbuchdaten über jüdischen Besitz heranzukommen. Es ist ein sehr aufwändiger und teuer produzierter Film geworden, der vor allem von der Darstellung Oliver Masuccis lebt, der dafür den bayrischen Filmpreis bekam.
Das schmale Büchlein von Stefan Zweig hat hierbei mehrfache filmische Ausschmückungen erfahren. So wurde z.B. dem Notar nicht nur eine Ehefrau an seine Seite gestellt (und prompt Birgit Mininchmayr als beste weibliche Nebenrolle für den Filmpreis nominiert wurde ), auch das Filmende hat man neu hinzugefügt, offenbar, um einen aktuellen Bezug zu schaffen. Die „Schachnovelle“ war mehrfach (aber in Nebenkategorien) für den deutschen Filmpreis nominiert und hat ihn schließlich für das beste Kostümbild bekommen.

Nicht einmal in dieser Kategorie waren die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Detlev Buck nominiert. Diese Verfilmung eines Thomas-Mann-Romans war auch aus Sicht mancher Kritiker eher eine Enttäuschung. Und das trotz einer attraktiveren Besetzung mit Jannis Niewöhner als Felix Krull und Liv Lisa Fries, David Kross, Maria Furtwängler und Joachim Krol. Vielleicht lag es daran, dass man diesem Roman in Gegensatz zu „Fabian“ und zur „Schachnovelle“ keine aktuellen Zeitbezüge abgewinnen konnte oder wollte. Vielleicht sind aber auch Literaturverfilmungen nicht so das Ding von Detlev Buck, was man ja schon an seiner eher blutleeren Verfilmung der „Vermessung der Welt“ nach dem Roman von Daniel Kehlmann befürchten musste. Nun hat er sich erstmals an einem Tatort (mit Udo Lindenberg!) gewagt, der Weihnachten im Fernsehen zu sehen war. Das war schon eine andere Nummer und hatte jene typische Qualität der skurrilen Buck-Filme, die wir schätzen.

 

„Curveball – Wir machen die Wahrheit“ von Johannes Naber

„Felix Krull“ ist kein Film, den die Welt gesehen haben muss – „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ hingegen schon. Aber ausgerechnet dieser Film, der schon bei der Berlinale 2020 uraufgeführt wurde und dessen Filmstarts mehrmals verschoben wurden, ging im übervollen Herbstprogramm 2021 weitgehend unter. Wie schade. Denn hier geht es um einen handfesten politischen Skandal, der sich so tatsächlich abgespielt hat und der in der deutschen Öffentlichkeit nach seinem Bekanntwerden unter dem Teppich gekehrt wurde. Er spielt Anfang der 90er Jahre, als ein irakischer Asylbewerber, der in seiner Heimat als Biochemiker beschäftigt war, den BND die Lüge auftischt, Saddam Hussein verfüge über geheime Biowaffenfabriken. Das ganze erweist sich zwar nach einiger Zeit als fake, um den Asylgesuch auf die Sprünge zu helfen – aber zu diesem Zeitpunkt ist diese Information bereits bei den amerikanischen Verbündeten gelandet. – und kommt ihnen super gelegen, um einen Angriffskrieg gegen diesen Schurkenstaat zu starten. Mit dem tatsächlichen Beweisen für diese Mutmaßungen nahm man es nicht so genau. Der kürzlich verstorbene Colin Powell als damaliger US-Militäroberbefehlshaber hat sich immerhin für sein Vorgehen nachträglich entschuldigt und es als den größten Fehler seiner politischen Laufbahn bezeichnet. Von deutscher Seite hat man ihn allerdings auch nicht davon abzuhalten versucht, obwohl man Bescheid wusste. Unser heutiger Bundespräsident Steinmeier war damals Leiter des Kanzleramtes und Koordinator der Geheimdienste. Er hat sich auch dann nicht zu den Vorfällen geäußert, als der vermeintliche Informant öffentlich in den Medien zugab, das alles erfunden zu haben.

Der Regisseur Johannes Naber, der vor ein paar Jahren die Kapitalismus-Satire „Zeit der Kannibalen“ inszenierte und dafür mehrere Preise gewann, hat sich diesen Stoff angenommen und wurde dafür mit dem deutschen Filmpreis in Bronze geehrt. Sein Film beginnt mit dem Hinweis „Dies ist eine wahre Geschichte. Leider“ und damit gibt er auch die Tonart des Films vor, der zwischen grotesker Komödie und investigativer Dokumentation angesiedelt ist. (insofern auch der ironische Film-Untertitel „Wir machen die Wahrheit“). Sebastian Blomberg spielt den BND-Agenten, der daran gehindert wird, zurückzurudern, als er die Wahrheit erfährt und Thorsten Merten, der den deutschen Filmpreis als bester Nebendarsteller bekam, seinen karrieregeilen Chef. „Curveball“ erinnert an ein unrühmliches Stück Zeitgeschichte, über das man den Mantel des Schweigens gelegt hat, mit viel bösem Witz.

 

„Nahschuss“ von Franziska Stünkel

Ein nicht nur für Ostdeutschland ebenso wichtiger Film ist „Nahschuss“ von Franziska Stünkel, der seine Premiere beim Münchner Filmfest hatte. Die dort anwesende Regisseurin sprach davon, dass nach drei Jahrzehnten die Zeit gekommen sei, sich aus der Distanz heraus intensiver und realistischer mit den Verhältnissen in der ehemaligen DDR auseinanderzusetzen Sie erinnern sich sicher, dass es in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung Komödien waren, die das andere Deutschland im Kino repräsentierten (z.B. „Goodbye, Lenin“ und „Sonnenallee“). Zwar standen einige Jahre später auch die Stasi und ihre Machenschaften im Mittelpunkt von Spielfilmen. Doch selbst ein oscarprämierter und erfolgreicher Film wie „Das Leben der anderen“ hatte nichts mit den Realitäten in der ehemaligen DDR zu tun. Die Filme über dieses untergegangene Land wurden erst in den letzten Jahren wirklich differenzierter. So wurde z.B. vor zwei Jahren mit dem Film „Und der Zukunft zugewandt“ das gesellschaftlich verdrängte Thema von in die Sowjetunion verschleppten DDR-Bürgern thematisiert.

„Nahschuss“ erzählt seine Geschichte angelehnt an das Schicksal des von der Stasi angeworbenen Wissenschaftlers Werner Teske, der 1981 wegen angeblichen Staatsverrats inhaftiert und wenig später hingerichtet wurde, er war das letzte Hinrichtungsopfer der DDR.
Die Filmfigur wird von Lars Eidinger mit großer Ernsthaftigkeit gespielt, ohne die sonst offenbar unvermeidlichen Eidinger-Manierismen. Devid Striesow ist sein Stasi-Führungsoffizier, ein nach außen hin umgänglicher, aber doch aalglatter Bürokrat. Die Charakterisierung seiner Figur ist insofern eine völlig andere als die jene im Stasi-Filmmärchen „Das Leben der anderen“. „Nahschuss“ ist ein sehr beklemmender Film, obwohl man seinen Ausgang bereits aus der Eingangsszene erahnen kann. Er erinnert daran, dass es in der DDR noch vor 40 Jahren die Todesstrafe gab und diese an 166 Personen vollstreckt wurde. Er ist eine unbequeme und beschämende Geschichtsstunde über ein Thema, über das man in Ost- und Westdeutschland viel zu wenig weiß.

 

„Lieber Thomas“ von Andreas Kleinert

Seit ein paar Jahren gibt es auch Filme über herausragende ostdeutsche Persönlichkeiten und deren Lebensläufe. Der emotionale und mehrfach preisgekrönte Film „Gundermann“ von Andreas Dresen ist hier zu nennen ebenso wie „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmark, der mit nur wenig Verfremdung den Werdegang des ostdeutschen Malers Gerhard Richter nachzeichnet und wegen seiner Überdramatisierung unter Publikum und Kritikern umstritten ist. Nun widmet sich ein Film den vor 20 Jahren verstorbenen Schriftsteller, Dramatiker und Filmregissseur Thomas Brasch und der ist auch formal ganz anders als seine Vorgänger.

Er wurde nicht nur in Cinemascope und schwarz-weiß gedreht und dauert gute 2 ½ Stunden, sondern er will auch kein klassisch erzähltes biopic sein, dass die Lebensstationen dieses widersprüchlichen Künstlers Stück für Stück abhakt. Dabei hätte der Lebenslauf von Thomas Brasch durchaus das Zeug zu einem dramatisch verdichteten Künstlerportrait. Er ist der Sohn eines langjährigen Kulturministers der DDR, mit dem er permanent in Konflikt kam. Der Vater war es, der ihn schließlich bei der Stasi denunzierte, als der Sohn öffentlich gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 in Prag aufbegehrte. Thomas Brasch kam in Haft, er kam zur Bewährung in ein sozialistisches Kollektiv in der Produktion, wurde schließlich von der Stasi überwacht und 1976 in den Westen abgeschoben, nachdem er durch kritische literarische Publikationen immer unliebsamer wurde. Im Westen wurde Brasch als willkommener literarischer Dissident herumgereicht und gefeiert. Er wurde in wenigen Jahren zum meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker, gehörte zur Schickeria des Kulturbetriebs. Auf der Höhe seiner Karriere drehte er sogar einen Spielfilm (Engel aus Eisen), der als deutscher Beitrag auf dem Festival in Cannes lief. Thomas Brasch kam jedoch mit seinem Höhenflug nicht zurecht, nahm Drogen, stürzte ab, geriet in Vergessenheit und verstarb 2001 mit gerade mal 56 Jahren.

Was hat nun Andreas Kleinert und sein ebenfalls ostdeutscher Drehbuchautor Thomas Wendrich aus diesem Stoff gemacht? Schwer zu beschreiben. Zunächst einmal besticht der Film optisch mit seinen wunderschönen Schwarzweißbildern, sie sich gut mit zeitgeschichtlichen Dokumentaraufnahmen ergänzen. Die Handlung ist eher fragmentarisch und episodenhaft als biografisch angelegt und hätte in dieser Form Thomas Brasch sicher gefallen hätte. Da wird nichts psychologisch erklärt oder politisch interpretiert, es gehen Realität und Traumsequenzen locker ineinander über. Letzten Endes ist es eine Verbeugung vor einem faszinierenden, vielschichtigen aber auch ambivalenten Künstler, der wohl nie richtig zu Hause war. Weder in der miefigen DDR noch im kapitalistischen Westen wollte er sich vereinnahmen lassen und versuchte stets, seine Freiheit zu wahren. Sein Gedicht „wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber…wo ich sterbe, da will ich nicht hin…bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“ strukturiert den Film und bringt ihn auf den Punkt.

Thomas Brasch wird kongenial verkörpert von Albrecht Schuch, der im Vorjahr den Bundesfilmpreis für „Berlin Alexanderplatz“ bekommen hat. Auf Grund dessen darstellerischer Leistung und der ungewöhnlichen formalen Gestaltung ist „Lieber Thomas“ ein Unikat und gehört zu den Höhepunkten dieses Filmjahres.

 

„Je suis Karl“ von Christian Schwochow

Das Buch zu „Lieber Thomas“ schrieb Thomas Wendrich, der mit Regisseur Andreas Kleinert anlässlich dieses Film bei uns im Casa zu Gast war. Thomas Wendrich ist auch für das Drehbuch für „Je suis Karl“ verantwortlich – und das ist ein völlig anderer Film geworden.
Wer bei Lieber Thomas den politischen Blickwinkel und den aktuellen Bezug vermisst, der wird hier fündig, sei aber vorgewarnt: Hier wird aktuelles politisches Geschehen mit einem sehr dicken Pinsel gezeichnet und das kam nicht bei allen Kritikern gut an. Der Regisseur Christian Schwochoch ist bisher eher durch ruhige und ästhetische gestaltete Kinofilme wie z.B. „Paula“ und „Die Deutschstunde“ bekannt geworden. Nun wollte er eigenen Angaben zufolge einen „Kracher“ machen in Form politischen Actionkinos.

Die Handlung beginnt nach wenigen Filmminuten damit, dass in Berlin ein Wohnhaus in die Luft gesprengt wird – vermutlich ein islamistischer Anschlag. Die überlebende volljährige Tochter der Familie lernt darauf hin einen jungen Mann kennen, der sie vor der Pressemeute abschirmt und in dem sie sich nach und nach verliebt. Sie folgt ihm nach Prag und in andere europäische Städte, in denen er sich als Anführer einer politischen Bewegung von jungen Leuten entpuppt und ist immer mehr und mehr von ihm fasziniert.Sie merkt lange nicht, wie er sie und ihr Schicksal letztendlich für seine politischen Ziele instrumentalisiert und auf welchen selbstzerstörerischen Fanatiker sie sich eingelassen hat.

Schwochoch spielt natürlich mit der Darstellung junger Eliten mit gefährlichen politischen Sendungsbewusstsein auf die sogenannte identitäre Bewegung an, die europaweit immer mehr um sich greift und sich vernetzt. Er zeigt die modernen rechten Rattenfänger und ihre Methoden, mit Politevents und Partystimmung auf unkonventionelle Art neue Anhänger zu finden. Er zeigt die Verführbarkeit junger Menschen, die deren wahre Absichten nicht durchschauen.

So weit so gut. Aber…der Film hat einen Handlungskniff, der schon von Anfang an klar wird und den ich ihnen nicht verraten darf, sonst würde ich zuviel spoilern. Und dieser Plot macht den Film aus meiner Sicht zu reißerisch und unglaubwürdig und schadet somit seinem Anliegen. Der Spiegel urteilt unter der Überschrift „viel Wumms, wenig Verstand“ sehr hart, hält den Film für „hochgradig misslungen“ und für den „größten Unsinn, den sich das deutsche Kino seit langem ausgedacht hat“ (Originalzitate). Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich teile die Kritik, dass hier durch die Überzeichnung bestimmter Figuren und die Überdramatisierung der Handlung von der realen Gefahr durch neue rechte Gruppierungen und deren Netzwerke eher abgelenkt wird. Doch urteilen Sie selbst. Eine Steilvorlage zur politischen Diskussion bietet er allemal und das ist für einen deutschen Film schon viel.

 

„Die Unbeugsamen“ von Torsten Körner

Über „Je suis Karl“ kann man in politischer Hinsicht geteilter Meinung sein, für „Die Unbeugsamen“ trifft das sicher nicht zu. Dieser Dokumentarfilm war ein überraschend großer Publikumserfolg und das nicht nur in Nürnberg, wo Renate Schmidt als eine der Protagonistinnen in ausverkauften Vorstellungen zu Gast war. Ihn sahen neben der früheren Bundeskanzlerin weit mehr Zuschauer als die eingangs vorgestellten Berlinalebeiträge.

Und er hat es verdient, denn er ist großes politisches Kino. Ein Film, der eigentlich vom Gestern erzählt und dabei auch auf das heute abzielt. Es geht um Frauen in der Politik. In den frühen Jahren der Bonner Bundesrepublik der 60er Jahre war diese eine absolute Männerbastion. Als es die erste Ministerin im Kabinett gab, musste sich diese allein schon wegen ihrer Anrede als Frau Ministerin vom Bundeskanzler Adenauer abkanzeln lassen. Es folgten weitere schwierige Jahre für Frauen in politischen Funktionen. Sie mussten sich nicht nur politisch durchsetzen, sondern wurden in ihren Redebeiträgen mit Zwischenrufen gestört, diffamiert, mit sexistischen Kommentaren bedacht und sogar offen belästigt.

Der Film ist mit unbekannten und entlarvenden Archivaufnahmen eine Zeitreise durch die Bundesrepublik und lässt jene Politikerinnen zu Wort kommen, die als Pionierinnen dafür sorgten, dass Politik inzwischen auch weiblich geworden ist. Er ist eine Chronik westdeutscher Politik von 1950 bis zur Wiedervereinigung. Die Erinnerungen dieser Frauen sind im Rückblick manchmal komisch, häufig aber auch bitter und erschreckend aktuell.
Insofern ist dieser Film nicht nur ein historisches Zeitdokument, sondern indirekt auch ein Beitrag zur gegenwärtigen metoo-Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt.

 

„Walchensee forever“ von Jana Ji Wonders

Dieses Jahr gab es besonders viele sehenswerte Dokumentarfilme im Kino. Da darf natürlich
„Walchensee forever“ nicht fehlen, mein Lieblingsdokumentarfilm der letzten Jahre.

Sein Siegeszug begann bei der Berlinale 2020 im Februar, als er einen ersten Förderpreis erhielt, kurz darauf gab es den bayrischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm. „Walchsensee forever“ wurde auf zahlreichen Festivals gezeigt und mit Publikumspreisen bedacht – nur der Kinostart musste lange auf sich warten. Mehrmals verschoben und dann für Januar 2021 angekündigt, kam er schließlich im Oktober in unsere Kinos. Wir im Casa hatten das Glück, als einziges Kino in Nürnberg die Regisseurin Jana Ji Wanders zu Gast zu haben, das Kino war ausverkauft und das Gespräch mit ihr wurde ein richtig rundes Kino-Erlebnis.

Worum geht es in diesem Film ? Es ist eine Familiengeschichte, die sich über fünf Generationen erstreckt. Dreh- und Angelpunkt ist ein im Familienbetrieb bewirtschaftetes Cafe am Walchensee in Oberbayern. Die Regisseurin verfügt über einen reichhaltigen Fundus von Dokumenten, Bildern, Briefen, Fotos und auch Filmaufnahmen ihrer Familie und erzählt von ihrer Großmutter, der Mutter und ihrer unter mysteriösen Umständen verstorbenen Tante.
Sie erschafft daraus eine pralle Familienchronik, die nicht nur gut unterhält, sondern auch berührt. Jana Ji Wonders beherrscht die Zusammenstellung ihrer filmischen Mittel perfekt. Sie hatte schon als Kind einen Zugang zum Medium und mit einer Videokamera in der Hand ihre Mutter gefilmt. Mit Hilfe ihrer Kamerafrau, Anja Pohl, die für ihre Montage den deutschen Kamerapreis bekam, ist dieser Film ein kleines Juwel geworden.

 

„Dear future children“ von Franz Böhm

Ein Film, der wie kein anderer in die heutige Zeit der Fridays-for-future-Bewegung und des Aufbegehrens junger Menschen gegen untragbare politische Verhältnisse passt. Portraitiert werden drei Aktivistinnen aus unterschiedlichen Erdteilen: Eine junge Frau aus Chile, die sich Protesten gegen im Land zunehmende soziale Ungerechtigkeit anschließt, eine Frau aus Uganda, die sich über die zunehmende Umweltverschmutzung in ihrem Land sorgt und schließlich an internationalen Klimakonferenzen teilnimmt und eine Aktivistin aus Hongkong, die sich gegen die politische Gleichschaltung des Stadtstaates durch China wehrt.

Der Regisseur dieses Films ist gerade mal 22 Jahre alt und sein Debütfilm ist fulminant inszeniert. Im Gegensatz zu vielen anderen Dokufilmen findet man starke Kino-Bilder.
Nicht nur angesichts der Themen, sondern auch der Drehbedingungen her ist dies ein mutiger Film. So ist er mit der Kamera mitten im Geschehen in Hongkong, wenn die Polizei Demonstranten niederknüppelt und als Zuschauer bekommt man Beklemmungen. Der Film ist emotional bewegend, er wirkt lange nach und man wünscht seinen Protagonistinnen viel Glück bei ihren weiteren Aktionen.

„ Dear future children“ erhielt Einladungen zu vielen internationalen Festivals und gewann mehrere Publikumspreise. So auch beim renommierten HotDocs-Filmfestival in den USA.
Und wer dort gewinnt, wird automatisch für den Oscar als bester Dokufim 2022 nominiert.

Damit schließt sich der Kreis. Wir haben nicht nur einen Spielfilm- sondern auch einen Dokumentarfilmanwärter für den Oscar zu bieten. Das ist ein Grund zur Freude und für dieses Filmjahr eine gute Ausbeute. So ein Drama war es dann doch nicht wie eingangs erwähnt.
Und es warten weitere tolle deutsche Filme in den nächsten Monaten bei uns im Kino auf Sie.

 

Donnerstag, 6. Januar 2022
00:00

Casa@Home