“Hier fliegen die Fetzen – ganz wörtlich: Ursula Meier inszeniert eine Familienaufstellung – und die füllt diese Inszenierung in jeder Sekunde auf spektakuläre Weise mit Leben. Auf den beiden Seiten der (tatsächlich auf den Boden gemalten) Linie spielen sich große Dramen ab, die Meier so intensiv und faszinierend erzählt wie es außer ihr kaum jemand beherrscht. Ein Film, der von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselt!”
Ihre Gewaltausbrüche haben Margaret, 35 Jahre alt, ihre Beziehung gekostet. Sie zieht wieder zu ihrer Mutter Christina. Doch die labile, unreife 55-Jährige macht sie als älteste Tochter für das Scheitern ihrer Karriere als Konzertpianistin verantwortlich. Ein Streit der beiden eskaliert, und die wütende Margaret schlägt auf ihre Mutter ein. Die Justiz wird aktiv und die Dynamik in der Familie noch komplizierter: Aufgrund eines Kontaktverbots darf Margaret sich dem Haus ihrer Mutter nun nur noch auf 100 Meter nähern, was ihre Sehnsucht nach familiärer Nähe verstärkt.
Täglich erscheint Margaret an der Bannkreisgrenze und gibt ihrer 12-jährigen Schwester Marion Musikstunden. In La ligne lotet Ursula Meier erneut eine ungewöhnliche Familienkonstellation aus und gibt dem Wort „Familienkreis“ auch eine topografische Dimension. Wie die beeindruckende Hauptdarstellerin aus diesem Kreis verbannt und der Mutter „entrissen“ wird, erinnert an das Trauma der Geburt. Kennzeichnend für den Film sind die Stimmungswechsel, mit denen er die Gefühlswelten der Protagonist*innen nachempfindet und dabei immer wieder ohne Vorwarnung zwischen Komödie und Tragödie hin- und herschaltet. Tonalität und Regiearbeit sind treffsicher und heftig wie ein Schlag ins Gesicht.
(Trailer folgt)
Casablanca
CH/FR 2022 | R: Ursula Meier | 100 Min. | FSK offen | frz. OmU