FFMOP 2021: Unsere Favoriten aus Saarbrücken

Das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken steht zu Unrecht im Schatten der bekannteren deutschen Festivals in Berlin, Hof und München. Aus Pandemie-Gründen konnte das diesjährige Festival nur online stattfinden, was aber den Vorteil hatte, dass gleich drei Mitarbeiter*innen des Casablancas die dortigen Filme sichten konnten. Sie stellen hier ihre Festivalfavoriten vor.


Das Filmfestival Max Ophüls Preis (kurz FFMOP) wurde 1980 gegründet und versteht sich als Forum für den gesamten deutschsprachigen Nachwuchsfilm, d.h. hier werden auch Filme aus Österreich und der Schweiz (ggf. mit Untertiteln) gezeigt. Es findet jährlich Ende Januar statt.
In den Sparten Spielfilm, Dokumentarfilm, mittellanger Film und Kurzfilm werden zahlreiche Preise vergeben. Ebenso gibt es einen Publikumspreis, Darstellerpreise und einen Ehrenpreis, der dieses Jahr an Wim Wenders ging. Zahlreiche Regisseur*innen und Schauspieler*innen wurden in Saarbrücken „entdeckt“ und sind mit ihren dort prämierten Debutfilmen einem größeren Publikum bekannt geworden.
Saarbrücken ist wie Hof ein Festival „zum Anfassen“. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren, insbesondere durch die Beliebtheit bei der Saarbrücker Bevölkerung, enorm angewachsen. Selbst an Wochentagen sind in vielen Nachmittagsvorstellungen die großen Kinosäle voll belegt. Die junge Filmemacher*innen brennen darauf, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen – was normalerweise durch die räumliche Nähe auch problemlos möglich ist. Dieses Jahr gab es zu jedem Wettbewerbsfilm ein aufgezeichnetes Filmgespräch und vereinzelt auch interaktive Diskussionen mit dem Publikum.

Die Favoriten unseres CasaAkademie-Leiters Rainer Mesch

Borga
Von York-Fabian Raabe
‚Borga’ war neben ‚Fuchs im Bau’ der Hauptgewinner des diesjährigen Festivals und wurde in den Kategorien Bester Spielfilm, Publikumspreis, Preis für den gesellschaftlich relevanten Film und Preis der ökumenischen Jury ausgezeichnet. Sein charismatischer Hauptdarsteller Eugene Boateng erhielt einen Sonderpreis. Borga sind Ghanaer, die es im Ausland zu vermeintlichen Wohlstand gebracht haben und wieder in ihr Heimatdorf zurückkehren. Der Film erzählt erstmals eine Geschichte aus afrikanischer Perspektive und handelt von zwei Brüdern, die einen unterschiedlichen Lebensweg gehen. Er ist erzählerisch dicht, schreckt nicht vor unschönen Wahrheiten zurück, bleibt jedoch hoffnungsvoll. Ein Film für die große Leinwand. Infolge des Preisregens können wir uns sicher auf einen Kinostart freuen, sobald dies wieder möglich ist.

Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen
Von Nadine Heinze und Marc Dietschreit
Das Thema „osteuropäische Pflegekraft betreut rund um die Uhr dementen deutschen Senior“ in einen unterhaltsamen, aber nicht oberflächlichen Publikumsfilm zu verwandeln, ist keine leichte Aufgabe. Noch dazu, wenn der alte Herr die Pflegerin für seine verstorbene Ehefrau hält und diese das Spiel mitspielt. Dieser Film schlägt nicht nur von der Handlung her unerwartete Kapriolen, sondern besticht in seiner Mischung aus Tragikomödie, Familiendrama, Sozialrealismus und – ja auch einem Schuss filmischen Märchens. Günther Maria Halmer und Emilia Schüle nehmen mit ihren Figuren für sich ein und auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Ein Kinoverleih steht bereits fest.

Wir Alle. Das Dorf.
Von Antonia Traulsen und Claire Roggan
Diese sehr sehenswerte Langzeit-Doku ist eigentlich eine Fernsehproduktion des NDR, würde aber hervorragend in unsere Agenda-Filmreihe passen. Mitten im Wendland will eine Gruppe gesellschaftlich engagierter Menschen ein eigenes Dorf gründen, in dem junge Familien, Senioren, aber auch Geflüchtete leben sollen. Der Film portraitiert einige von ihnen auf Augenhöhe, erzählt von Rückschlägen und Fortschritten, vom Widerstand der Anwohner und von Reflektionsprozessen der Dorfgründer. Ein sympathisches Sozialexperiment, von dem man gerne wüsste, wie es grundsätzlich und mit den gezeigten Protagonist*innen weitergeht. Er bietet wichtige gesellschaftliche und persönliche Denkanstösse, die über das gezeigte Projekt hinausgehen. Ihm wäre ein mutiger Kino-Verleih zu wünschen, wir wären dabei.

Die Favoriten unserer Programmkoordinatorin Laura Oehme

Der österreichische Film ‚Fuchs im Bau’ basiert auf den tatsächlichen Erfahrungen eines Gefängnislehrers mit unkonventionellen Unterrichtsmethoden. Im Film, für den Arman T. Riahi u.a. mit dem Preis für Beste Regie und dem Fritz-Raff-Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, soll Hannes Fuchs (Aleksandar Petrović) die eigenwillige Pädagogin Elisabeth Berger (Maria Hofstätter) in einer Wiener Gefängnisschule ablösen. Doch diese hat andere Pläne und die Ereignisse um einer der Schülerinnen überschlagen sich. Das Klassenzimmer ist zu einem Raum in dem die straffällig gewordenen Jugendlichen „frei“ sein können und ebenso soziale Tabuthemen verhandelt werden – und das „ohne angestrengte Suspense, aber voller gefährlicher Stillen“ (aus der Begründung der Jury).

‚Dear Future Children’ von Franz Böhm ist ein absolut sehenswerter Dokumentarfilm, der drei junge Aktivistinnen aus drei Kontinenten und mit drei unterschiedlichen Anliegen vorstellt: Rayen aus Chile (soziale Gerechtigkeit), Hilda aus Uganda (Klimawandel) und “Pepper” aus Hongkong (Demokratiebewegung). Der Film ergründet eindrucksvoll warum die jungen Frauen entgegen aller Hoffnungslosigkeit bereit sind weitreichende persönliche Risiken in Kauf zu nehmen und gewann dafür in Saarbrücken den Publikumspreis in der Kategorie Dokumentarfilm.

Bei ‚The Case You’ handelt es sich um das eindrückliche Langfilmdebüt von Alison Kuhn, welches den wahren Fall eines groben Machtmissbrauchs in der Film- und Fernsehbranche aus Sicht der Betroffenen beleuchtet. Fünf Frauen berichten von einer traumatisierenden Casting-Erfahrung; die reduzierten filmischen Mittel (Theatersaal als Drehort; minimalistischer Soundtrack; kleines Film-Team) unterstreichen die individuelle aber auch universelle Tragweite derartiger Übergriffe im Kontext der aktuellen MeToo-Debatte. Der Film wurde in Saarbrücken mit dem Preis für Beste Musik in einem Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Die Favoriten unseres Theaterleiters Matthias Damm

Der Eröffnungsfilm ‚A Black Jesus‘ ist ein Glücksfall von einem Dokumentarfilm. Eine gute Idee, gute Protagonisten und gute Umsetzung – da nimmt man dem Film auch nicht krumm, dass sicher im Detail einiges mehr inszeniert ist als behauptet wird. Die Idee: Im Dorf Siculiana auf Sizilien wird eine schwarze Jesus-Statue verehrt – die Prozession zu Ostern, bei der die Statue von Männern aus dem Dorf durch die Straßen getragen wird, ist der Höhepunkt des Jahres. Regisseur Lucas Lucchesi stammt aus Siculiana – und hat auch miterlebt, wie die beschauliche Welt seines Dorfes zum Schauplatz der Weltpolitik wird, seit an den Stränden Flüchtlinge aus Nordafrika ankommen und das Dorf zum Opfer der italienischen Flüchtlingspolitik wird, die offenkundig nicht helfen will, sondern die Unterbringung der Flüchtlinge im damit völlig überforderten Dorf nutzt, um die Lage zuzuspitzen. Lucchesi erzählt die Geschichte des schwarzen (also: aus schwarzem Holz geschnitzten) Jesus und gleichzeitig die der schwarzen (und streng gläubigen) Flüchtlinge, deren Traum es wird, zum Teil des Rituals zu werden und den schwarzen Jesus tragen zu dürfen. Der Traum wird wahr – und es kommt zu Begegnungen zwischen Flüchtlingen, Wohlwollenden im Dorf (wie dem engagierten Italienisch-Lehrer und dem für die Prozession verantwortlichen Priester) und den weniger wohlwollenden Überforderten. Der schwarze Jesus löst keines der Probleme – aber Lucchesis Film zeigt meisterhaft ihre Komplexität, heruntergebrochen auf die einfachen Mechanismen eines, seines Dorfes.

Filmemachen ist Experimentieren, Ausprobieren, Visualisieren von Ideen. Man merkt einem Film an, wenn er von Tatendrang und Schaffenswillen getrieben ist und nicht von den Vorgaben der Förderer und Fernseh-Redaktionen. Wie großartig das gelingen kann, hat für mich schon lange kein Film mehr so gut gezeigt wie ‚Die Sonne brennt‘ von Joséphine Demerliac, die damit ihr Spielfilmdebüt vorlegt. Ihre Protagonistin ist Zou (die im Abspann nur so heißt, tatsächlich aber die Regisseurin selbst ist), eine junge Frau aus Frankreich, die sich durch einen heißen Sommer in Berlin treiben lässt, in komplizierten Gefühlen zwei Männern gegenüber steht und den Unbillen der Generation Praktikum ausgesetzt ist. Viel Handlung gibt es nicht in diesem nur 75 Minuten kurzen Film, aber eine Abfolge aus Szenen, die alle echt wirken, mit großartigen Dialogen und toller Musik. Ein Film, der das Gefühl erzeugt, dass man seiner Protagonistin ganz nah gekommen ist.

Wer hätte das gedacht – Väter erkennt man offenbar vor allem an ihrem Niesen. Das ist nicht die wichtigste Erkenntnis aus ‚Väter Unser‘ von Sophie Linnenbaum, aber sie illustriert, was dieser Film kann: Sechs sehr unterschiedliche Menschen (offenbar aus einer großen Zahl von Personen ausgewählt, die in umfangreichen Vorrecherchen befragt wurden) erzählen Geschichten über ihre Väter. Formell denkbar unspektakulär umgesetzt sitzen sie vor schwarzen Hintergründen und erzählen ihre bewegenden, bedrückenden, witzigen oder traurigen Geschichten. Sophie Linnenbaum (die übrigens aus Nürnberg stammt) schafft es, ohne es jemals in Worte fassen zu müssen ein Bild dessen zu entwerfen, was Väter sein können, sollten und müssen. Ein Film, der Gedanken in Gang bringt – dem eigenen Vater gegenüber und auch über die eigene Rolle als Vater.