Berlinale-Rückblick (2)

von Yulia Krylova (Casa-Programmgruppe)

Filme können dabei helfen, um den gegenwärtigen globalen Geschehnissen und Sorgen für wenigstens 90 Minuten zu entkommen. Während diese Strategie in den Lockdowns mithilfe von älteren Filmen möglich war, wurden schrittweise auch die neusten Berlinale Filme logistisch und thematisch von der Corona-Krise eingeholt. Dies hat sich vor allem nicht nur durch die verringerte Zahl an Schauspieler*innen und Statist*innen und der bevorzugten Wahl von leeren Drehorten gezeigt, sondern auch auf die jeweiligen Inhalte, die zwangsweise Parallelen zur Pandemie herstellten, ausgewirkt.

Mit Petite Maman von Céline Sciamma wird die 8-jährige Protagonistin mit der Einsamkeit durch ihre Situation als Einzelkind konfrontiert. Hervorgerufen durch den Tod ihrer Oma und dem damit verbundenen Rückzug der Mutter, sticht diese Suche nach Gesellschaft noch deutlicher hervor. Durch ihre kindliche Imagination versucht die Protagonistin, dem Alleinsein zu entkommen und die Sehnsucht nach ihrer Mutter zu verarbeiten. Die Kamera begleitet sie dabei nicht nur durch minimalistische Räume, sondern auch mit weiten Aufnahmen durch den Wald. Eine unschuldige und rührende Verarbeitung einer Mutter-Tochter Beziehung. ⭐⭐⭐⭐⭐

Ein weiterer familiärer Bund wird in dem kanadisch-libanesischen Film Memory Box von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige auf die Probe gestellt. Ausgelöst durch ein Paket, dessen Inhalt aus Fotografien, Sprachaufzeichnungen und Texten der Mutter aus ihrer Jugend im Libanon während des Bürgerkriegs besteht, kurz bevor diese nach Kanada ausgewandert ist, wird die Frage nach Heimat, Grenzüberschreitungen und der Verarbeitung von Traumata aufgeworfen. Während die Tochter sich sehr schnell in dem nostalgischen Inhalt verliert, das Tempo der Mutter zögerlich bleibt und die Oma den neugefundenen Schatz am liebsten im Keller lassen möchte, wird die Vergangenheit und der damit verbundene Schmerz aufgearbeitet. Eine Reise durch die Zeit und um die Welt, die sehr spezifisch und dennoch auf so vielen Ebenen universell erscheint. ⭐⭐⭐⭐⭐

Wheel of Fortune and Fantasy von Ryusuke Hamaguchi stellt drei separate Kurzgeschichten vor: eine Dreiecksbeziehung, welche die eigene Welt doch kleiner als erwartet erscheinen lässt, ein geplanter und dennoch unberechenbarer Sabotageversuch und ein gegenseitiges Missverständnis, welches in einer abgeänderten Gegenwart spielt, die als invertierte Version der Corona-Pandemie assoziiert werden könnte. Alle geprägt durch ein Zwischenspiel von Zufällen, Initiativen und den jeweiligen Konsequenzen, dahin führend zu einem Konglomerat von Verlusten, Reue und neuen Hoffnungen – angeleitet durch emotionsstarke Konversationen. ⭐⭐⭐⭐⭐

So sehr mich die Verarbeitung und stellenweise abstrakte Inszenierung der aktuellen globalen Lage angenehm überrascht hat, hoffe ich dennoch, dass diese für uns alle ermüdende Situation bald ihr Ende finden wird und somit auch, mit einer Verzögerung einhergehend, Covid-freie Filme wieder produziert und (vorzugsweise endlich wieder in unserem Casablanca) konsumiert werden können.