Casa-Blog

Der Casablanca-Blog

Das Casablanca ist anders als andere Kinos. Das weiß unser Publikum – und in diesem Blog wollen wir ab und zu Einblick in die Hintergründe geben!

Heilige Sch#!$e – (Kompost-)Toiletten auf der Leinwand und im Casa

Der redaktionalle Beitrag im Monatsflyer von Dezember 2023. Anlässlich des ersten Geburtstags unserer renovierten CasaToiletten und zweier Filmhighlights im Dezember – ‘Holy Shit’ und ‘Perfect Days’.

Was haben Trainspotting, Pulp Fiction und The Big Lebowski gemeinsam? In jedem der drei Filme gibt es mindestens eine berühmte Szene, die sich auf einer Toilette abspielt: Ewan McGregor sucht kopfüber in einer schmutzigen Kloschüssel nach seinem Heroin, John Travolta verfolgt ein regelrechter Toilettenfluch und Jeff Bridges weiß trotz erzwungener Klodusche nicht, wo das Geld abgeblieben ist. Doch während viele Filme Toiletten als dramaturgisches Element einsetzen, steckt für die Welt abseits der Leinwand nicht zu unterschätzendes Potenzial in ihnen.

Wasserspülungen verbrauchen insgesamt ein Drittel des gesamten jährlichen Trinkwasserbedarfs deutscher Haushalte – und daran können auch wassersparende Stopptasten nur wenig ändern. Aber was passiert eigentlich nach dem Spülgang? Das Filtern des nährstoffreichen Abwassers in Kläranlagen ist mit hohem Energieaufwand und CO2-Emissionen verbunden, und am Ende bleiben tonnenweise giftiger Klärschlamm und weiterhin genug Nähr- und Schadstoffreste, um natürlichen Gewässer stark zu belasten. Im Sinne von Kreislaufwirtschaft sind daher Komposttoiletten ein vielversprechender Lösungsansatz, denn diese könnten nicht nur die (Trink)Wasserverschwendung und die Umweltbelastung verringern, sondern auch zur Reduzierung von Abfall und zur Schaffung von nährstoffreicher Erde und Pflanzendünger beitragen.

Welche konkreten Projekte es bereits gibt, aber auch welche (rechtlichen) Hürden es noch zu überwinden gibt, schildert der Dokumentarfilm Holy Shit eindrücklich. Anlässlich des Bundesstarts am 30. November (und des ersten Geburtstags unserer renovierten Toiletten) veranstalten zu ebendiesem Film eine Sondervorstellung mit Gesprächsgäst:innen, verwandeln unsere Toilettenkabinen in Mini-Ausstellungsräume und haben eine echte Komposttoilette vor Ort. Wer dann noch nicht genug von „stillen Örtchen“ hat, darf sich auf Wim Wenders‘ Perfect Days freuen: ein zauberhafter Film über einen Mann, der in Tokyo öffentliche Toiletten reinigt und darin seine Erfüllung findet.

Melanie Kyrieleis (NetSan e.V.) und
Laura Oehme (Programmkoordinatorin im Casablanca)

26. November 2023


Queerfilmnacht im April 2023: Monat der lesbischen Sichtbarkeit

von Marlene Hofmann

Im Rahmen des Tages der lesbischen Sichtbarkeit, zeigen wir zusammen mit dem Filmverleih Salzgeber 4 Filme um und mit sapphischer Liebe. Ein willkommener Anlass sich hier kurz mit der Entwicklung des „lesbischen Films“ zu befassen.

Eine umfassende Chronologie und Geschichte über den lesbischen Film zu schaffen, sprengt den Rahmen des redaktionellen Teils des Flyers, aus diesem Grund überreißen die folgenden Zeilen die Historie knapp.

Was vielleicht überraschen mag, bereits im frühen Film finden queere Frauen ihren Platz. In der Frühform verstanden sich die Filme mehr im Sinn einer Attraktion auf dem Jahrmarkt, und unterscheiden sich signifikant von dem narrativen Medium, dass wir heute kennen. Um Zuschauer zu gewinnen, wird ähnlich, wie in einem Varietétheater auf das Außergewöhnliche, das Skurrile und das Fremde gesetzt.

Darunter auch Frauen, die sich als Männer verkleiden („Making a man of her“ (1912) / „A Florida Enchantement“ (1914) / „Ich möchte kein Mann sein“ (1918)). Hier geht es jedoch nicht um ein offenes queeres Narrative, sondern viel mehr um das offene Spektakel, dass sich aus der scheinbaren Komik erschließt. Schon gar nicht geht es um das Hinterfragen von Geschlechtsidentität und Heterosexualität.

Nach der Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er Jahre, wurde es zunehmend schwerer, Publikum in die Kinosäle zu bringen. Eine beliebte Lösung der Filmemacher war durch groteskes, sexualisiertes und blutrünstiges Kino möglichst große Massen an Menschen wieder für Film zu begeistern.

Unter „problematischen Darstellungen“ von Sexualität zählt hier selbstverständlich auch Homosexualität  Zum Beispiel der erste Kuss zweier Frauen auf Film, in dem Epos „Manslaughter“ (1922) der als Teil einer Orgien-Szene, nicht für sexuelle Freiheit, sondern sinnbildlich für den moralischen Verfall des römischen Reiches steht. Eine Symbolik die der Regisseur, Cecil B. DeMille, ebenfalls in „The Sign oft the Cross“ wiederholt. Herausstechend hier die Penetranz der Szene, in der die boshafte Römerin versucht die gute Christin von sich zu überzeugen.

Unser erster Film der Reihe, der durch seine offene Geschichte, um lesbische Liebe und Zuneigung herauszuheben ist, ist „Mädchen in Uniform“ aus dem Jahr 1931. Der auf dem Roman „Das Mädchen Manuela“ basierende Film, behandelt die Zuneigung einer 14-jährigen Waisen zu ihrer Lehrerin und die Folgen des repressiven preußischen Erziehungssystems. Die Zuneigung zweier Frauen wird zu dem zentralen Thema des Films, obwohl eine große moralische Einordnung dessen wegfällt.

Wenn auch die manische Liebe gegenüber der Lehrerin am Ende nicht unbestraft belieben soll. Zu erwähne ist dass, „Mädchen in Uniform“ zwar einer Zensur durch das NS-Regime nicht ausweichen konnte, dieses Verbot ist jedoch durch die Kritik an Autorität und Disziplin und nicht durch die Beziehung der weiblichen Charaktere zu erklären. Das spricht nicht für eine Offenheit gegenüber der Liebesbeziehung zweier Frauen, sondern vielmehr über eine Minderbewerten der weiblichen Sexualität.

Aber auch in der mittlerweile führenden Filmnation, den USA, kommt es zu Zensuren in der Filmbranche, durch das Verfassen eines Codex der moralisch richtige Bildinhalte normativ festlegen möchte. Grund dafür ist Kritik der Regierung und Boykottversuchen religiöser
Gruppen. Der Hays Codex ursprünglich als eine Liste von Don‘ts und Be Carefulls, zur Selbstkontrolle von Filmschaffenden verfasst, wird 1934 schlussendlich verschärft und als allgemein gültige Kontrollinstanz eingeführt. So verschwanden mit dem Verschärfen des Hays-Code, 1934 die Marlene Dietrichs, die in Anzügen gekleidet Frauen küssten und die Greta Gabos, die stolz nach dem Kuss mit einer Frau ihre Unabhängigkeit von Männern deklarierten.In den 1950er Jahre verlor der Codex zunehmend an Bedeutung, so wurde er an neue Werte und Normen angepasst, um immer noch einen Sinn von Kontrolle in einer immer liberaler werden Gesellschaft beibehalten zu können.

Das bedeutet jedoch nicht, dass lesbische Liebe viel Platz in der Kinolandschaft einnimmt. Vor allem bedeutet es jedoch nicht, dass Homosexualität befreit von Stigmata verfilmt wurde.

In „The Childrens Hour“ (1961), erhängt sich die Protagonistin, aus ihrem Ekel vor sich selbst und ihrer Zuneigung zu Frauen heraus. Der Stereotyp einer psychisch labilen Frau, die von einer krankhaften und schandhaften Besessenheit mit dem selben Geschlecht geplagt ist etabliert sich schnell. Lesben müssen leiden und gehen an ihren eigenen sexuellen Bedürfnissen zu Grunde.

Neben diesem Bild der im Unglück endenden Frau, bildet sich auch das Bild der boshaften nicht heteronormativen Frau. Die boshafte Vampirin aus „Draculas Daughter“ (1936) ist ein Vorreiter für die monströse Frau, die das Fleisch andere Frauen begehrt. In „House on 92nd Street“ (1945) wird diese Perversion mit einer Frau, die sich als Nazi verkleidet auf einen Höhepunkt gebracht.

Es muss nicht erwähnt werden, dass diese moralisch verkommen Frauen/ Monster, eine gerechte Strafe erhalten. In den 1960er und 1970er Jahren und mit der sexuellen Revolution, nimmt die Darstellung von sapphischer Liebe im Film zu. Von einer aufrichtigen oder gar fassettenreichen Darstellung kann nur sehr bedingt gesprochen werden, wenn auch die Perspektive auf Homosexualität sich in der Zeit
nachhaltig verändert. Das Aufleben an Sexploitation-Filmen prägt die Darstellung von lesbischen Charakteren.

Lesben waren jetzt nicht nur Monster, sondern ebenfalls sexuell aufreizende Monster, verdeutlicht an den rapiden zunehmenden lesbischen Vampir-Sexploitation-Filmen („Et Mourir de Plaisir” (1960) , „Les lèvres rouges“ (1971)). Dabei steht der sensationelle Wert des Sexuellen zwischen zwei Frauen klar im Vordergrund (zu mal die Filme fasst ausschließlich von einem männlichen Auge für das männliche Auge produziert worden sind).

In den späten 1980er Jahren und frühen 1990er Jahren entsteht eine große Bandbreite an Low Budget-Filmen von queren Regisseuren*innen aus Amerika, die bis heute für ihre nuancierten und realistischen Darstellungen der Queeren Community gelobt, geliebt und gefeiert werden.

Die Filmkritikerin B. Ruby Rich etablieret als Sammelbegriff für eben diese Filme die Bezeichnung „New Queer Cinema“ (zu dem auch unser Cinema della Casa-Film aus dem März “Paris is Burning” gehört). Durch das Hinterfragen von Normen, dem Ansprechen von Tabus schafft es das New Queer Cinema, kulturelle Konversationen zu starten und mehr Platz für inklusive Narrative in der Mainstream Filmwelt zu schaffen.

Die unterschiedlichsten Zugänge zur lesbischen Identität lassen sich auch im Kino außerhalb der Vereinigten Staaten und in den 3 weiteren Filmen der Reihe finden. „Die Jungfraumaschine“ (1988) erzählt über eine faszinierende Recherchereise über die „romantische Liebe“. Der Klassiker des lesbischen Kinos „When Night is Falling“ beschriebt die turbulente Beziehung zweier Frauen aus unterschiedlichsten Lebenssituationen. „Fucking Åmål“ (1998) wiederum erzählt als Coming of Age Drama, über Sehnsucht, Schmerz und die erste Liebe. Betrachtet man die die heutige Kinolandschaft, lassen sich eine Vielzahl an, von Kritiker und Zuschauern geliebte, Filme rund um lesbische Frauen finden.

Das sensible und feinfühlige Kostümdrama „Portrait einer jungen Frau in Flammen (2019), der Regisseurin Céline Sciamma und zuletzt das ambivalente Bild einer Dirigentin in Lydia Tár (Tár 2023), verdeutlichen die breit aufgestellten Bilder lesbischer Frauen im zeitgenössischen
Film. Vergessen werden sollte jedoch nicht, dass mit dem quantitativen Anstieg an lesbischen Filmen kein qualitativer Anstieg an Geschichten einhergeht.

Wie sich die Repräsentation von lesbischen Figuren im Film weiterentwickelt, lässt sich jedoch noch schwer bestimmen, da neben den vielen positiven Beispielen, der männliche und cis-normative Blick auf Frauen und ihre Sexualität die Filmlandschaft weiter hin dominiert.

Denn Film war schon immer mehr als ein reines Medium der Unterhaltung. Wie wir darstellen, wie wir erzählen, ist nicht nur Spiegel unserer Gesellschaft, sondern auch immer auch gestaltende Determinante unserer Lebenswelten. Geschichten, darunter auch der Film bestimmen mit, wie wir unsere Gesellschaft hinterfragen, kontextualisieren und definieren.

Lasst uns gemeinsam, die Filme schauen und zelebrieren die provozieren, hinterfragen und neue Horizonte einer diversen lesbischen Sichtbarkeit öffnen.

1. April 2023


Das Casa-Sommer-Rätsel

Im Kino ist es angenehm kühl – dennoch ziehen die Hauptpersonen einiger Film-Highlights aus diesem Jahr es vor, ihre Zeit am Strand oder in den Bergen zu verbringen. Zumindest haben sie ihre Bilder verlassen …

Anders gesagt: Wir haben ein bisschen mit Photoshop herumgespielt. Erkennt Ihr die Filme auch ohne Personen?

Das Sommer-Rätsel

Bitte schickt uns die Filmtitel auf einer (Urlaubs-)Postkarte ans Casablanca, Brosamerstr. 12, 90459 Nürnberg.
Einsendeschluss ist der 31. August.
Wir verlosen 3 Kinogutscheine zu je 20 € – und als Sonderpreis je einen 20 €-Gutschein für die schönste und die kitschigste Postkarte!

Als kleine Hilfestellung hier einige Filmtitel, die gemeint sein könnten:
The Banshees of Inisherin | Acht Berge | Close | Die Frau im Nebel | Final Cut of the Dead | Tár | Loriots große Trickfilmrevue | Seneca | The Ordinaries | Sisi und ich | Olaf Jagger | Roter Himmel | Der Fuchs | Empire of Light | Das Lehrerzimmer | Die Linie | Orphea in Love | Asteroid City | Barbie | Oppenheimer

5. August 2022


Verschwendetes Geld – So geht‘s nicht weiter mit der Filmförderung

Gastbeitrag von Björn Koll

Erschienen im Monatsflyer April 2022

Filme fallen ja nicht vom Himmel, und bis ein Film im Kino gezeigt wird, ist es ein weiter Weg. Ich bin seit über 30 Jahren Filmverleiher und das ist eigentlich schon mal ein doofer Name, denn Film-Verleger würde meinen Beruf viel besser beschreiben. Ich finde meine Filme auf den Festivals, aber auch häufig schon viel früher, weil mich Regisseur:innen oder Produzent:innen ansprechen oder ich mitbekomme, welches Projekt irgendwo auf der Welt geplant, gedreht oder fertiggestellt wird und auf dem Weg in die Kinos Hilfe braucht.

Von mir erhalten die Filme nicht nur über sogenannte Mindestgarantien ihr Geld, sondern auch ihr Gesicht. Das sind der Titel, das Artwort, die Texte. Ich mache für die Filme die Öffentlichkeit, sei es über Festivals, Pressearbeit, Werbung oder Touren mit den Filmteams. Und dann kommt der schwierige Prozess, Kinos für die Filme zu begeistern und die Einsätze in den vielen unterschiedlichen Städten zu betreuen, indem z.B. die Kopie, aber auch Trailer, Plakate, Flyer und sonst so alles, was von einem Film zu sehen ist, rechtzeitig vor Ort sind. Die Produzent:innen und Filmmacher:innen können und müssen mir vertrauen, dass ich die jeweils für Ihren Film richtige Entscheidung treffe.

Das alles ist ziemlich viel Arbeit, die wir hier bei Salzgeber mit 14 Menschen leisten, und zwei Jahre Corona haben uns schwer geschadet. Für Produzent:innen und die Kinos gab und gibt es Hilfe, aber uns Filmverleiher hat man komplett vergessen. Darüber schreibe ich jetzt in unserem Newsletter und auf unserer Webseite und versuche in meinem Offenen Brief zu erklären, warum es so nicht weiter geht.

Mein eigentliches Thema ist die große Ungerechtigkeit, die in Deutschland bei der Vergabe gerade der Verleihfördermittel überdeutlich zu erkennen ist. Denn im Prinzip ist durchaus genug Geld da, es wird aber absolut ungerecht ver(sch)wendet. Wusstet Ihr, dass 89% der Verleihfördermittel der Filmförderungsanstalt, also immerhin 9,1 Millionen, exklusiv an die sechs Firmen Constantin, Warner, Leonine, Studiocanal, Wild Bunch und Sony gehen? Wusstet Ihr, dass der Film ‚Monster Hunter‘ als deutscher Film gilt und mit 650.000 Euro im Verleih gefördert wurde und dann doch nur 59.287 Besucher:innen erreichte?

Wer Lust hat, sich mit diesen Absurditäten weiter zu beschäftigen, wird auf salzgeber.de immer wieder fündig werden.

Björn Koll ist Geschäftsführer von Salzgeber & Co Medien GmbH.

Der Verleih trägt den Namen des Kino- und Festival-machers Manfred Salzgeber, der die Sektion „Panorama“ der Berlinale prägte und die „Edition Salzgeber“ gründete.

Aus dem Hause Salzgeber kommen queeres Kino (u.a. die monatliche Queerfilmnacht und das Queerfilmfestival), Dokumentarfilme wie ‚Monobloc‘ oder ‚Schocken‘ und junges deutsches Kino wie ‚Futur Drei‘ oder ‚Glück‘. Im April läuft der Salzgeber-Film ‚Loving Highsmith‘ im Casablanca.

Die offenen Briefe von Björn Koll an die Filmbranche sind online nachzulesen:

 

25. März 2022


Frauen bildet Banden! Ein Plädoyer für mehr Filmfrauen*

Der redaktionalle Beitrag im Monatsflyer von März 2022. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März bündeln wir ausgewählte Filme von Frauen* über Frauen* in einem Themenschwerpunkt – bei dem lokale Kooperationspartner*innen die Filme um spannende Diskussionen ergänzen.

Spätestens dank der #metoo-Bewegung, die im Oktober 2017 ihren Ursprung fand, ist klar, dass Frauen* in der Filmbranche nicht nur zahlenmäßig unterrepräsentiert sind, sondern auch unverhältnismäßig oft schamlosem Machtmissbrauch ausgesetzt sind. Doch die Benachteiligung von
Frauen* in der Filmindustrie zieht sich durch alle Bereiche: Regisseurinnen* erhalten weniger Fördergelder, Filmfrauen* sind seltener für Auszeichnungen nominiert (Jane Campion ist dieses Jahr die einzige nominierte Regisseurin), weibliche Rollen sind oft stereotyp oder flach, Filmfestivals bevorzugen etablierte Namen (und damit überwiegend Männer) und es gibt kaum hauptberufliche Filmkritikerinnen*. In der Folge mangelt es in der nationalen und internationalen Filmwelt nach wie vor an Vielfalt und die wenigen, aber meist überaus starken, weiblichen Perspektiven finden zu geringe Beachtung. Während Organisationen wie „Pro Quote Film“ sich schon länger für mehr Gleichberechtigung filmschaffenden Frauen* einsetzt, gibt es in der Kinobranche bisher nur zaghafte Unternehmungen in diese Richtung. Die „Kinofrauen
Berlin-Brandenburg”, zum Beispiel, vernetzen sich vor allem lokal, verschaffen ihrem Plädoyer für mehr Frauen* und Diversität in der Kinobranche aber auch auf nationalen Branchen-Events mehr Sichtbarkeit – denn auch Kinobetreiberinnen* sind in Deutschland in der Minderheit. Die Nürnberger Kinolandschaft bildet im Vergleich dazu – mit gleich mehreren Frauen* in leitenden Positionen – eine erfreuliche Ausnahme.
Auch in der Nürnberger Südstadt ist der Frauen*anteil hoch: Ob bei der Programmkoordination, in der Programmgruppe, im Vorstand, im Kassen-, Vorführ- oder Kneipenteam – im Casablanca kommt kein Team ohne Frauen* aus. Doch auch hier schlummert noch Potenzial, denn wie in vielen, anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, profitiert die Film- und Kinobranche ungemein von engagierten Frauen*. Weswegen es nicht nur ein gesamtgesellschaftliches, sondern
auch unser konkretes Ziel sein muss, die nötigen Strukturen auszubauen und etwaige Hürden abzubauen. Frei nach einem Statement des feministischen „Filmlöwin”-Blogs, muss unser Motto für die Zukunft also lauten: Es ist nicht Ziel des Casablanca, die Diskrimierung von Frauen* zu belegen oder zu diskutieren, sondern unseren Teil dazu beizutragen, sie zu überwinden!

Laura Oehme
(Programmkoordinatorin im Casablanca Filmkunsttheater Nürnberg)

7. März 2022


Berlinale-Rückblick (3)

von Rainer Mesch (Programmgruppe & CasaAkademie)

Liebe, Beziehung, die Suche nach Glück – das sind universelle Themen des Kinos und sie stehen in vielfältigen Variationen und Spielarten auch immer wieder im Mittelpunkt von Festivalfilmen. Und selbst wenn man glaubt, das alles schon einmal gesehen zu haben, gibt es Filme, die durch ihre Geschichte, ihre Figuren, ihre Erzählweise aufs Neue berühren. So erging es unserer Programmgruppe z.B. bei der Sichtung der für den Saarbrückener Max-Ophüls-Preis nominierten Filme mit ‘Die Sonne brennt’ (siehe den dortigen Blog-Eintrag).

Im Berlinale-Wettbewerb wurde dieses Thema durch Maria Schraders unterhaltsame Sci-Fi-Rom-Com (welch herrliche Abkürzung für eine romantische Komödie, die in der Zukunft spielt) ‘Ich bin Dein Mensch’ repräsentiert, welche auf unterschiedliche Resonanz stiess. Während ein Teil der Kritiker (einschließlich unseres Theaterleiters, siehe seinen Beitrag hierzu) enttäuscht war, fanden ihn andere Cineasten (und ein Teil unserer Programmgruppe) durchaus sehenswert. Maren Eggert bekam für ihre Darstellerleistung einer Single-Frau, die eine Beziehung mit einem (schon ziemlich perfekt aussehenden und sprechenden) Roboter-Mann ausprobiert, sogar den Silbernen Bären.

‘Ballad of a White Cow’

So sehr man diesen Preis einer deutschen Darstellerin auch gönnen mag, verdient hätte ihn eine andere: die iranische Regisseurin und Schauspielerin Maryam Moghaddam, die in dem zusammen mit ihrer Kollegin Behtash Sanaeeha inszenierten Wettbewerbsbeitrag ‘Ballad of a White Cow’ (Ghasideyeh gave sefid) auch die Hauptrolle übernahm. Für mich persönlich der mutigste und stärkste Film des Festivals. Auch er handelt vordergründig von einer sich anbahnenden Beziehung: Das Leben einer Iranerin gerät aus den Fugen, als sie erfährt, dass ihr Ehemann zu Unrecht des Verbrechens angeklagt wurde, für das er hingerichtet worden ist. Die Bürokratie entschuldigt sich für den Justizirrtum und stellt eine finanzielle Entschädigung in Aussicht, die aber auf sich warten lässt. Als das Geld knapp wird und sie aus ihrer Wohnung muss, erscheint ein Fremder, der sie großzügig finanziell unterstützt und ihr eine neue Bleibe vermittelt. Spät, sehr spät, als sie sich schon in ihm verliebt hat, erfährt diese Frau die wahre Identität des neuen Freundes. Es ist ein Richter, der für den Tod ihres Mannes mitverantwortlich ist und durch seine Hilfe die Schuld zu sühnen versucht.
Eigentliches Hintergrund-Thema des Films ist die Verurteilung zur Todesstrafe, die nur in China häufiger vollstreckt wird als im Iran. ‘Ballad of a White Cow’ greift das dortige politische System direkter an als etwa die Filme früherer Berlinale-Preisträger wie Mohammad Rasoulof oder Jafar Panahi, die beide unter Hausarrest gestellt und mit einem Arbeitsverbot belegt wurden. Hier hat das Justiz-System offensichtlich versagt und „entschuldigt“ sein Vorgehen damit, dass es wohl letztlich doch Allahs Wille gewesen sei, das ein Mensch unschuldig habe sterben müssen. Einen weiteren Tabubruch stellt eine kleine unscheinbare Szene dar, in der sich die Frau abends vor dem Spiegel die Lippen schminkt.
Als westlicher Zuschauer nicht der Erwähnung wert. Man weiß, sie wird nun in sein Zimmer gehen und sie werden wohl miteinander schlafen. Diese Vorstellung hat allerdings offenbar iranische Behörden auf dem Plan gerufen, die sich veranlasst sahen, gegen die vorgebliche Diffamierung ihres Landes durch diesen Film bei der Berlinale-Leitung Protest einzulegen.
Schade, dass dort nicht mutig genug war, abermals ein politisches Zeichen zu setzen und diesem Film mit der Auszeichnung eines Preises international Reputation zu verschaffen.
Lag es daran, dass mit ‘Doch das Böse gibt es nicht’ von Mohammad Rasoulof im Vorjahr ein iranischer Film über das gleiche Thema (Todesstrafe) den Goldenen Bären gewann und dieser Regisseur dieses Jahr (per Zoom zugeschaltet) mit in der Berlinale-Jury war? Ich wünsche ‘Ballad of a White Cow’ jedenfalls einen Verleih und ein zahlreiches Publikum. ⭐⭐⭐⭐⭐

‘Die Welt wird eine andere sein’

ist der neue Film von Anne Zohra Berrached, jener Regisseurin, die vor fünf Jahren mit ’24 Wochen’ im Berlinale-Wettbewerb vertreten war, diesmal zu sehen in einer Nebenreihe. Nach diesem eher intimen Kammerspiel präsentiert sie diesmal großes Gefühls-Kino mit politischem Hintergrund. Der Film ist in fünf in aufeinander folgende Kapitel eingeteilt und diese fünf Jahre des Zusammenseins eines jungen Paares strukturieren den Film. Er erzählt von einer türkischstämmigen Studentin der Naturwissenschaften, die sich in einem charismatischen jungen Mann verliebt, der aus dem Libanon kommt. Da trotz gemeinsamen Religionshintergrunds für ihre Herkunftsfamilie eine Beziehung mit einem Araber nicht in Frage kommt, verheimlicht sie diese zunächst und wagt aber schließlich die Eigenständigkeit. Anlässlich ihrer Heirat schwört sie ihm nicht nur ewige Treue, sondern auch, seine Geheimnisse niemals zu verraten. Schnell wird klar, dass er sich heimlich mit fremden Freunden trifft und tatsächlich auch seine Geheimnisse hat, die mit religiöser Radikalität verbunden sind. Sie ahnt nicht, dass die Welt eine andere geworden sein wird, als sie das ganze Ausmaß dessen erkennt, worin er verstrickt war.
Mit ‘Die Welt wird eine andere sein’ (der u.U. unter dem internationalen und durchaus passenden Titel ‘Copilot’ ins Kino kommen wird) beweist die Regisseurin einmal mehr ihren besonderen Blick für das Private im Politischen und eine große Sensibilität im Umgang mit ihren Darsteller*innen. Wie in unserem CasaAkademie-Seminar zu „Frauen auf dem Regiestuhl“ näher ausgeführt, erzählt sie ihre Geschichten stets aus weiblicher Perspektive und vermag selbst einem Tatort (‘Der Fall Holdt’) einem feministischen Stempel aufzudrücken. Auch hier steht eine junge Frau im Mittelpunkt des Geschehens, zerrissen zwischen den Gefühlen von leidenschaftlicher Liebe, permanenter Irritation, Pflichtgefühl und Verrat. Immer wieder wird sie ihrem Partner neu vertrauen und auch der Zuschauer ist geneigt, dem durchaus sympathisch gezeichneten jungen Mann zu verzeihen. Die politische Brisanz des Themas, die wir an dieser Stelle nicht „spoilern“ möchten, steht im Hintergrund.
Genau das ist natürlich die Achilles-Ferse dieses handwerklich gekonnt gemachten und spannenden Films, dessen Handlung – so wird im Vorspann angedeutet – durchaus von realen Ereignissen inspiriert sein könnte. Insofern bedarf der Film einer Einordnung, die über das Thema weiblicher Beziehungsabhängigkeit hinausgeht. Er wirft viele Fragen auf, regt zu Diskussionen an, die wohl am besten unter Anwesenheit der Regisseurin zu führen sind. ⭐⭐⭐⭐

‘Glück’

… heißt schlicht und ergreifend der neue Film der jungen Regisseurin Henrika Kulla, die nach ihrem hochgelobten Debutfilm ‘Jibril’ nun mit ihrem zweiten Film in die Berlinale Nebensektion Panorama zurückkehrt. ‘Glück’ erzählt die Geschichte der beiden Sexarbeiterinnen Maria und Sascha, die sich im Job kennen und lieben lernen.
Maria ist ein junge Italienerin und neu in dem Gewerbe, Sachsa einige Jahre älter und sehr routiniert. Mit Leichtigkeit und Präzision wird ein Arbeitsplatz portraitiert, der oftmals verklärt dargestellt wird. In diesem Film ist das Bordell ein wohnlich und fast schon familiär wirkender Ort, wo Frauen mit nüchterner Alltäglichkeit und Routine ihren (Blow- und sonstigen) Jobs nachgehen. Die Sexarbeit ist für sie schlicht nur ein Weg, Geld zu verdienen.
Henrika Kull hat über mehrere Jahre in unterschiedlichen Bordellen ausgiebig recherchiert und ihren Angaben zufolge auch schon mal der „Hausdame“ (welche schöner Begriff!) „assistiert“ (was auch immer das heißen mag). Sie hat so viele Prostituierte kennengelernt, die sich schließlich auf das Experiment eingelassen haben, mit und bei ihnen einen Film zu drehen. Während diese Frauen sich in ihrem gewohnten Umfeld selbst spielen, hat sie die Hauptrollen mit zwei professionellen Schauspielerinnen mit großer Ausstrahlung besetzt: der unglaublich präsenten bisher unbekannten Katharina Behrens und Adam Hoya, laut Verleihangaben ein „italienischer Künstler, der seit 1992 mindestens ein halbes Dutzend unterschiedlicher Namen für sich gewählt und über viele Jahre selbst von der Sexarbeit gelebt“ hat.
Dennoch ist ‘Glück’ vorrangig kein Film über das dargestellte Milieu, sondern ein Liebesfilm zweier Frauen, der sich eben an einem ungewöhnlichen und dort nicht gerade erwartbaren Ort zuträgt. Auch spielt es keine Rolle, welche Auswirkungen diese Liebe an diesem „Arbeitsplatz“ hat, ob und wie sie auf das Zusammensein mit den anderen Frauen verändert.
Das Glück droht nicht, wie man vermuten könnte, am dortigen Milieu zu zerbrechen. Es kippt, als Sachsa versucht, das Leben mit ihrer neuen Liebe mit ihren Wurzeln in der brandenburgischen Provinz und ihrem dort lebenden 11jährigen Sohn zu verbinden.
‘Glück’ ist vor allem ein Liebesfilm über zwei Frauen, die nicht – oder nicht mehr – an die Liebe glauben und dann plötzlich Angst vor ihrem eigenen Wagemut haben.
Ästhetisch ist dies ein Film voller authentischer kraftvoller Bilder, bei der die Kamera immer ganz nahe an den beiden Protagonistinnen ist. Trotzdem wird er es bei einem Kinoeinsatz schwer haben und es steht zu befürchten, das er angesichts seines heiklen Themas in naher Zukunft als kleines Fernsehspiel in der Spätmitternachtsschiene des mitproduzierenden ZDF landet. Wir werden uns jedenfalls darum bemühen, ihn im Casablanca zu zeigen. ⭐⭐⭐⭐

Eine kleine Schlussbemerkung: Bei der Sichtung von Beziehungsfilmen auf der Berlinale ist mir aufgefallen, dass hier zwar höchst ungewöhnliche Konstellationen abgehandelt werden, aber alle letztlich am klassischen Modell der Zweierbeziehung festhalten. Fallen dem aktuellen Kino hierzu keine Alternativen, keine Utopien mehr ein ? Ich wünsche mir jedenfalls mal wieder Filme über eine polyamore Liebe wie bei ‘Jules und Jim’ und ‘Warum nicht!’. Da waren uns die Filme der 60er und 70er Jahre bei ihrer Suche nach Glück mit ihren Ideen doch etwas voraus. Aber zumindest im Kino sollte doch alles möglich sein, oder?

19. März 2021


Berlinale-Rückblick (2)

von Yulia Krylova (Casa-Programmgruppe)

Filme können dabei helfen, um den gegenwärtigen globalen Geschehnissen und Sorgen für wenigstens 90 Minuten zu entkommen. Während diese Strategie in den Lockdowns mithilfe von älteren Filmen möglich war, wurden schrittweise auch die neusten Berlinale Filme logistisch und thematisch von der Corona-Krise eingeholt. Dies hat sich vor allem nicht nur durch die verringerte Zahl an Schauspieler*innen und Statist*innen und der bevorzugten Wahl von leeren Drehorten gezeigt, sondern auch auf die jeweiligen Inhalte, die zwangsweise Parallelen zur Pandemie herstellten, ausgewirkt.

Mit Petite Maman von Céline Sciamma wird die 8-jährige Protagonistin mit der Einsamkeit durch ihre Situation als Einzelkind konfrontiert. Hervorgerufen durch den Tod ihrer Oma und dem damit verbundenen Rückzug der Mutter, sticht diese Suche nach Gesellschaft noch deutlicher hervor. Durch ihre kindliche Imagination versucht die Protagonistin, dem Alleinsein zu entkommen und die Sehnsucht nach ihrer Mutter zu verarbeiten. Die Kamera begleitet sie dabei nicht nur durch minimalistische Räume, sondern auch mit weiten Aufnahmen durch den Wald. Eine unschuldige und rührende Verarbeitung einer Mutter-Tochter Beziehung. ⭐⭐⭐⭐⭐

Ein weiterer familiärer Bund wird in dem kanadisch-libanesischen Film Memory Box von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige auf die Probe gestellt. Ausgelöst durch ein Paket, dessen Inhalt aus Fotografien, Sprachaufzeichnungen und Texten der Mutter aus ihrer Jugend im Libanon während des Bürgerkriegs besteht, kurz bevor diese nach Kanada ausgewandert ist, wird die Frage nach Heimat, Grenzüberschreitungen und der Verarbeitung von Traumata aufgeworfen. Während die Tochter sich sehr schnell in dem nostalgischen Inhalt verliert, das Tempo der Mutter zögerlich bleibt und die Oma den neugefundenen Schatz am liebsten im Keller lassen möchte, wird die Vergangenheit und der damit verbundene Schmerz aufgearbeitet. Eine Reise durch die Zeit und um die Welt, die sehr spezifisch und dennoch auf so vielen Ebenen universell erscheint. ⭐⭐⭐⭐⭐

Wheel of Fortune and Fantasy von Ryusuke Hamaguchi stellt drei separate Kurzgeschichten vor: eine Dreiecksbeziehung, welche die eigene Welt doch kleiner als erwartet erscheinen lässt, ein geplanter und dennoch unberechenbarer Sabotageversuch und ein gegenseitiges Missverständnis, welches in einer abgeänderten Gegenwart spielt, die als invertierte Version der Corona-Pandemie assoziiert werden könnte. Alle geprägt durch ein Zwischenspiel von Zufällen, Initiativen und den jeweiligen Konsequenzen, dahin führend zu einem Konglomerat von Verlusten, Reue und neuen Hoffnungen – angeleitet durch emotionsstarke Konversationen. ⭐⭐⭐⭐⭐

So sehr mich die Verarbeitung und stellenweise abstrakte Inszenierung der aktuellen globalen Lage angenehm überrascht hat, hoffe ich dennoch, dass diese für uns alle ermüdende Situation bald ihr Ende finden wird und somit auch, mit einer Verzögerung einhergehend, Covid-freie Filme wieder produziert und (vorzugsweise endlich wieder in unserem Casablanca) konsumiert werden können.

15. März 2021


Berlinale-Rückblick (1)

von Matthias Damm (Theaterleiter)

Die Berlinale 2021 ist vorbei – zumindest das “Industry Event”, bei dem die Fachwelt die Filme des Wettbewerb und der anderen Sektionen sehen durfte. Im Juni folgt dann noch ein Festival vor Ort in Berlin fürs Publikum.

Berlinale – das heißt normalerweise: Anstehen für Karten am zugigen Potsdamer Platz in klirrender Kälte. Hin- und Herhetzen zwischen Zoo, Alexanderplatz, Friedrichstadtpalast und Potsdamer Platz, um den Terminplan, der bei der Planung noch irgendwie machbar aussah, einzuhalten. Fast Food an den Food Trucks oder Dönerläden der Stadt. Die abstruse Hässlichkeit der gescheiterten Stadtplanung der Arkaden am Potsdamer Platz mit ihren (auch vor Corona) leeren Geschäften. Mehr Zeit in der S-Bahn als im Kino. Wenig Schlaf. Aber auch: Kino International, Zoo-Palast, Friedrichstadtpalast – Filme auf gigantischen Leinwänden und in den schönsten Sälen der Stadt. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und Zufallsbekanntschaften. Small Talk und harte Verhandlungen im Vorübergehen. Reaktionen des Publikums auf Filme – eines Publikums, das in Berlin immer zum großen Teil aus Nicht-Fachleuten besteht – echte Kinofans, für die ein Festivalbesuch kein Arbeitstermin, sondern ein Ereignis ist. Wegdämmern bei Filmen, die gerade nicht passen oder die so richtig schlecht sind – und Begeisterung darüber, wenn man im ganzen professionellen “Sichten” von Filmen von einigen davon berührt oder mitgerissen wird.

Funktioniert das auch bei einer Berlinale, bei der aus der Leinwand des International plötzlich ein Laptop-Bildschirm wird? Natürlich funktioniert es irgendwie – gute Filme bleiben gute Filme. Aber es fehlt so wahnsinnig viel und man möchte nicht länger vor dem Schreibtisch sitzen, sondern ins Kino.

Nun ist es enorm praktisch, wenn man einen leeren Kinosaal zur Verfügung hat, in dem man den Laptop anstecken und den Film dann doch auf einer echten Kinoleinwand sehen konnte – für einige Mitglieder der Casa-Programmgruppe fand ein Teil der Berlinale dann glücklicherweise doch im Kinosaal statt, ohne Festival außenrum und in einem Kino ohne Publikum. Das macht Lust auf die Wiedereröffnung, Lust darauf, die tollen Filme, die wir sehen konnten, in unser Kino zu holen und mit unseren Gästen zu sehen, zu feiern, zu hassen oder einfach nicht zu verstehen. Bald ist es so weit – bleibt stark!

Und welche Filme gab es zu sehen? Es waren überschaubar wenige im Vergleich zu einer regulären Berlinale, um die 100 wohl in den verschiedenen Sektionen, nur 15 im Wettbewerb. Wie großartig (und wie schön wäre es, wenn das so bliebe!) – eine Berlinale, bei der man danach das Gefühl hat, dass man fast alles überblicken konnte, dass man das meiste von dem gesehen hat, was man sehen wollte und bei der doch genug Überraschungen und Zufallstreffer blieben.

Ein Höhepunkt natürlich: Der absolut verdiente Festival-Gewinner Bad Luck Banging or Loony Porn von Radu Jude. Der einzige Film in meiner Auswahl, der Corona direkt thematisiert – und die einzige Art der Thematisierung, die ich sehen möchte. Ein wildes, versponnenes, rohes und geniales Artefakt – das in Berlin vor Ort sicher für schöne Szenen gesorgt hätte, denn natürlich muss man zu Beginn der Geschichte über das Tribunal gegen eine Lehrerin, von der ein Porno-Filmchen im Internet auftaucht und für größtmögliche Empörung sorgt ebendieses Filmchen auch sehen – in volle Länge, Drastik und fragwürdiger Ästhetik gleich zu Beginn des Films. Die Szene wiederholt sich später, wenn die empörte Elternschaft im Hof der Elite-Schule wider die Angeklagte zu Gericht sitzt und die Empörtesten ganz nach an das herumgereichte Tablet heranrücken, um auch genau sehen zu können, was da Empörendes zu sehen ist. Radu Judes Zielrichtung ist klar – jede Gruppe der rumänischen Gesellschaft kriegt hier ihr Fett weg, das Militär, die Kirche, die moralisch Kaputten und die, die mit ihren Autos der Stadt Bukarest die Luft zum Atmen nehmen. Im Mittelteil des Films wird ein Lexikon eingeschoben, das so absurd-witzig wie grotesk ist. Die rumänische Gesellschaft hat sich ihren Radu Jude offenbar redlich verdient – und man wünscht sich auch für Deutschland Filmemacherinnen und Filmemacher, die mit so viel Energie und so wenig Respekt zu Werke gehen. (Bewertung auf einer Skala mit maximal 5 Sternen: ⭐⭐⭐⭐⭐

In gewisser Hinsicht der Gegenentwurf dazu ist Maria Schraders vieldiskutierter Ich bin Dein Mensch. Hier wird genau geplant (was nichts Schlechtes ist) und eine der wichtigsten Fragen der aktuellen Zeit angegangen, die nach der Roboter-Ethik – wo sind die Grenzen dessen, was künstliche Intelligenz darf, vor allem wenn sie im Gewand eines Menschen daherkommt, eines Androiden? Taugen Androiden als Partner für Menschen aus Fleisch und Blut? Haben sie Rechte? Pflichten? Und natürlich die alte Frage von Philip K. Dick “Träumen Androiden von elektrischen Schafen?” (die Titel des Romans ist, der dem Klassiker ‘Bade Runner’ zugrundeliegt. Und hier liegt das Problem mit diesem Film: All diese Fragen wurden in Filmen bereits hundert Mal beantwortet – und Schraders Werk fügt dem keinen interessanten Aspekt hinzu. Dabei ist das Setting betörend: Androide Roboter, die als Partner-Ersatz für echte Menschen dienen sollen, haben es zur Marktreife gebracht und sollen getestet werden, wofür offenbar auch eine Expertin für Keilschrift befähigt ist, die nun für drei Wochen einen Androiden an der Seite hat. Was hätte man nur aus dieser Idee machen können – aber obwohl der überaus hübsche Robotermensch genau den Ansprüchen der zu Beglückenden entsprechend modelliert wurde, räumt erst mal die Bücherwand um, mischt sich in ihre Forschung ein und steht stundenlang im Regen rum. Hier passt leider nichts zusammen – sollen wir wirklich glauben, dass es offenkundig KIs gibt, die sich in Sekunden einen Überblick über den Forschungsstand eines abseitigen Fachgebiets verschaffen und mal eben Jahre der Forschung entwerten können, diese aber nur in experimentellen Escort-Robotern verbaut werden? Muss wirklich jede lustige Frage beantwortet werden, die sich ein fünfjähriger ausdenken würde, wenn er gefragt wird, was menschenähnliche Roboter wohl alles lustiges anstellen würden? Richtig ärgerlich wird es dann, wenn die Frage nach der technischen Ausstattung des Beglückers im Intimbereich erörtert wird: Alles vorhanden, muss aber durch ausdauerndes Rumgeknutsche aktiviert werden. Kein Roboter für eine Nacht also, künstlichen Sex gibts hier nur wenn vorher künstliche Intimität geliefert wird. Das weibliche Modell scheint anders zu funktionieren, wie man später im Film von einem hochzufriedenen Kunden erfährt, für die männliche Variante muss die Benutzerin schön züchtig Vorspiel machen – da wurde ein entscheidender Teil des Drehbuchs wohl direkt aus den 50ern zugeliefert. Das alles sieht keineswegs schlecht aus, sondern liefert gefällige Fernsehfilm-Ästhetik (was für den Berlinale-Wettbewerb etwas wenig ist) – bleibt aber leider immer auf dem Niveau einer gefälligen Feelgood-Komödie. Schade – das konnte Frau Schrader in “Unorthodox” besser. ⭐⭐

Dass deutsche Filme (die überaus stark im Programm der Berlinale vertreten waren) mehr können, zeigen andere Beispiele:

Das klappt als Fingerübung, wie Daniel Brühls Regie-Debüt Nebenan, nach einem Buch von Daniel Kehlmann, in dem Brühl vermutlich sich selbst spielt, als Berliner Schauspiel-Yuppie und Gentrifizierungs-Vorantreiber mit Altbauwohnung und Hang zur staubigen Ästhetik einer Berliner Eckkneipe. Schauspieler als Regisseure sind nicht immer eine gute Kombination – aber dass Brühl nicht nur seinen Lebensstil zur Disposition stellt, sondern sich auch von seinem Spielpartner, dem wie immer großartigen Peter Kurth an die Wand spielen lässt. Vermutlich ist auch das ein Corona-Film, mit winziger Besetzung und nur einem Schauplatz – und doch ein vielschichtiger und ungemein lustiger Film. ⭐⭐⭐⭐⭐

Eigenwillig-großartig auch Tim Fehlbaum Tides, der als Special lief. Fehlbaum hat vor einigen Jahren für wenig Geld den tollen Endzeit-Film ‘Hell’ gemacht. Geld war jetzt offenbar nicht das Problem – die Constantin Produktion (mit Roland Emmerich als Zugpferd) fährt ganz große Optik auf. Der Plot ist post-apokalyptisch: Die Erde wurde vom Klimawandel zerstört und ist zur Wasserwelt geworden. Die Bevölkerung ist geflohen, muss nun aber vom Planeten Kepler zurückkehren – und prüft, ob der Planet sich so weit erholt hat, dass das möglich wird. Bewohnt wird die zerstörte Erde von Überlebenden, die in alten Industrieanlagen und Schiffen hausen. Vermutlich sollte man die innere Logik so eines Films nicht im Detail beleuchten – aber Fehlbaum gelingt es nicht nur, seine Geschichte voranzutreiben, er schafft auch Bilder, die es so beeindruckend-dreckig selten in einem deutschen Film gab. Offenbar wurde wenig mit digitalen Effekten gearbeitet sondern tatsächlich im Wattenmeer gedreht. Schwer zu sagen, ob nicht doch ‘Hell’ der bessere (weil authentischere) Film ist, aber beeindruckend ist Tides allemal. ⭐⭐⭐⭐

Christian Schwochow zeigte (ebenfalls als Special) Je Suis Karl, der in gewisser Hinsicht komplementär zu ‘Und morgen die ganze Welt’ von Julia von Heinz ist. Es geht um politische Gewalt, um Terrorismus: In Berlin findet ein Bombenattentat auf ein Wohnhaus statt, das schnell von den Medien als islamistischer Anschlag interpretiert wird. Tatsächlich: Ein Joe Job einer rechten Terrorgruppe, Teil des Plans in Richtung der Machtergreifung und organisiert von einer Bewegung, für die der Terror ein Mittel ist, die sich sonst aber modern gibt, mit professionell organisierten Jugendcamps und Zurechtweisung derer, die die Parolen von gestern verwenden – man ist jung und hip, man ist pro-europäisch, man beschwört Zusammenhalt und kämpft gleichzeitig gegen die, die als Gefahr von außen gebrandmarkt werden. Vielleicht dreht Schwochow die Schraube am Schluss eine Umdrehung zu weit – aber sein Film ist groß und vermutlich näher an der Realität als manche/r sich vorstellen will. ⭐⭐⭐⭐⭐

Und dann ist da Dominik Graf, der dieses Mal keine Serie und keinen Fernsehfilm gedreht hat, sondern eine drei Stunden dauernde Verfilmung von Erich Kästerns Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Drei Stunden lang ist Tom Schilling in jedem Bild und säuft, liebt und vögelt sich durchs Berlin der 20er Jahre. Der Film beginnt mit einer wilden Exposition und wirkt zunächst wie “Babylon Berlin” auf Speed, entwickelt dann aber in eigenwillig-altmodischer analoger 4:3-Ästhetik ein aus der Zeit gefallenes Kunstwerk, das ganz viel erzählt über die Zeit, in der Deutschland in die Brüche ging aber auch vieles entstand (vor allem: Das Kino!) ⭐⭐⭐⭐⭐

Viele gute deutsche Filme also? In der Tat – erstaunlich viele gute. Und sie sind immer gut, wenn sie sich trauen, nicht wie deutsche Filme auszusehen. Natürlich gibts auch auf der Berlinale andere, wie Die Saat von Mia Maariel Meyer, der in der “Perspektive deutsches Kino” läuft. Armes deutsches Kino, wenn das seine Perspektive ist! “Mit unaufhaltsam steigendem Druck beschreibt Regisseurin Mia Maariel Meyer in ihrem zweiten Spielfilm eine durch Kapitalismus entmenschlichte Welt, in der der Kampf für Gerechtigkeit und Integrität zur Zerreißprobe wird.” steht im Pressetext. Ja, das tut sie – aber sie tut es ohne jeden Zwischenton, ohne jede Überraschung, ohne jegliche Figurenentwicklung. Hier ist in jeder Szene klar, wer gut ist und wer böse – und für den Fall, dass es jemand nicht versteht, muss die Ausstattung und die Maske ran, die den Finsterlingen düstere Augenringe und schmierige Gel-Haare schminken. Ein Film, der dezidiert fürs Kino produziert wurde und der viel Fördergeld versenkt hat – und der doch nicht mehr ist als ein Wiedergänger aus der deutschen Fernsehspiel-Hölle, der tut, als müsse man bei einem Kinofilm sicherstellen, dass man jederzeit nebenbei bügeln oder Bier holen können muss, ohne den Anschluss zu verlieren. ⭐

(wird fortgesetzt)

13. März 2021


Kino leuchtet. Für Dich.

GrafikDas Casablanca ist bei der bundesweiten Aktion dabei!
Am Sonntag, 28. Februar beleuchten wir ab 19 Uhr unsere Fassade. Kommt in die Südstadt (natürlich immer schön mit Abstand) und macht Fotos, die Ihr dann in den sozialen Medien teilt: Unter dem Hashtag #kinoliebe wollen wir ein Zeichen setzen, damit die Kulturorte nicht vergessen werden.

Für die Kinos sind es harte Zeiten. Im vergangenen Jahr durften sie nur in 7 Monaten öffnen, teilweise mit deutlichen Einschränkungen. Die Besucherzahlen brachen um bis zu 70 Prozent ein.
Auch wenn diverse Hilfsprogramme dafür sorgen, dass die meisten der Filmtheater überleben werden, wandelt sich gleichzeitig der Markt: Streaming-Anbieter gewinnen an Bedeutung, andere Teile der Branche wie Produktionsfirmen, Verleiher und Dienstleister geraten durch die Krise massiv unter Druck.

Die aktuellen Corona-Inzidenzzahlen geben wenig Anlass für Hoffnung auf eine baldige Normalisierung.
Daher veranstalten am kommenden Sonntag, 28. Februar Kinos in ganz Deutschland einen Aktionstag, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und strahlen ihre Gebäude an: “Kino leuchtet. Für Dich.“
Die Idee: Die Kinos sollen sichtbar sein – und auch wenn ihre Fans aktuell nicht in die Säle dürfen, können sie doch Bilder der Gebäude machen und mit dem Hashtag #kinoliebe in den sozialen Medien teilen.

Ab 19 Uhr wird die Fassade des Casablanca hell erleuchtet. Mitarbeiter/innen und Ehrenamtliche des Vereins werden vor Ort sein, natürlich unter Einhaltung der Abstandsregeln.
Auch andere Kinos in Nürnberg und der Region beteiligen sich, so das Mobile Kino Nürnberg und die Kinos der Familie Weber.

Am Vorabend der für die Fachwelt virtuell stattfindenen Berlinale lenken die Kinos damit den Blick auf die immer noch geschlossenen Kulturorte und appellieren an die Politik nach vier Monaten eine transparente, evidenzbasierte und verlässliche Wiedereröffnungsperspektive zu erhalten. Bei der nächsten Bund-Länder-Konferenz am kommenden Mittwoch muss es darum gehen, dass Kinos als Kultureinrichtungen einen vernünftigen Platz in einem Stufenplan bekommen. Aktuelle Studien wie z.B. der TU Berlin zeigen, dass Kinos mit erprobten Hygienekonzepten sehr sichere Orte sind.

Und die Rückmeldungen der Kinogäste zeigen täglich, dass Kino mehr ist als ein Freizeitvergnügen: Für viele Menschen ist das gemeinsame Sehen von Filmen an einem öffentlichen Ort weit mehr als das – eine Passion, ein Ort zum Abschalten, für viele sogar ein Lebensinhalt.

„Die Filmtheater wollen ihren Beitrag zur Bewältigung der Pandemie leisten”, erklärt der Vorsitzende der AG Kino/Gilde Christian Bräuer. “Gemeinsam Kultur zu erleben, ohne sich zu nahe zu kommen, ist ein solcher Beitrag. Wir sind bereit unsere Türen zu öffnen und das kulturelle Leben in der Nachbarschaft mit tollen Filmen und vielfältigen Programmen wieder zu bereichern. Die Politik hat es jetzt in der Hand, gemeinsam mit den Kulturorten mit einer weitsichtigen Öffnungsstrategie ein Zeichen der Hoffnung zu setzen.”

Beim Aktionstag geht es auch darum, den zahllosen Unterstützerinnen und Unterstützern zu danken, die dafür sorgen, dass das Casablanca aktuell nicht ums Überleben kämpfen muss.
Der Verein Casa e.V., der das Kino betreibt, hat in den Krisenmonaten mehr neue Mitglieder gewonnen als jemals zuvor – ihre Zahl ist auf fast 1400 angewachsen.
Zahlreiche Spenden und Gutscheinverkäufe sichern neben den erheblichen staatlichen Hilfen und großzügigen Mietreduzierungen das Bestehen des Kinos.
Der Vorsitzende des Vereins, Gerhard „Black“ Schwarz, stellt fest: „Die Solidarität unserer Freunde und Mitglieder ist unglaublich. Das Kino ist 125 Jahre geworden, das Casablanca wird im Herbst 45, unser Kino mit Courage wird 12 Jahre alt – und ich bin zuversichtlich, dass noch viele folgen werden.”

Hinter den Kulissen nutzt das Team des Casablanca die Schließungszeit für Renovierungen und Verbesserungen.
„Sobald es wieder möglich ist, sind wir zurück – auch wenn die Kino-Welt sich bis dahin ändern wird. Noch mehr als früher wird es notwendig sein, nicht nur Filme zu zeigen, sondern ein kleines Haus wie das Casablanca zu einem besonderen Ort mit einzigartiger Atmosphäre zu machen“, so Theaterleiter Matthias Damm.

Um das sicherzustellen, wurden und werden aktuell zahlreiche kleine und größere Verbesserungen durchgeführt.
So wurden in allen Sälen Klimaanlagen eingebaut, um auch im Sommer einen angenehmen Filmgenuss zu ermöglichen.
Alle Türen zu den Sälen werden durch Schallschutztüren ausgetauscht und auch ein Teil der Kinotechnik wird erneuert.
Eine mobile Bühne erweitert das Spektrum an Veranstaltungen, neue Mikrofontechnik verbessert die Qualität bei Filmgesprächen und Diskussionen.

Dazu kommen zahlreiche Verbesserungen im Foyer und Außenbereich: Der alte Kassentresen wurde restauriert. Im Außenbereich lädt ein eleganter Bar-Tresen auf ein Getränk nach dem Film ein, dazu kommen neue Tische und Stühle – alles in warmer Holz-Optik. Zahlreiche Details wurden verschönert, oft mit tatkräftiger Hilfe der Minijobber/innen des Casablanca, die damit die Möglichkeit haben, die teilweise Weiterbezahlung aufzustocken, die der Verein ihnen freiwillig anbietet.

Ermöglicht werden diese Investitionen durch das „Zukunftsprogramm Kino“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), das allen Kinos offen steht, die mit Programmpreisen auf Bundes- oder Landesebene ausgezeichnet wurden. Die Förderquote wurde während der Corona-Pandemie von 40 auf 80 Prozent der Investitionen angehoben. Insgesamt investiert das Casablanca 2020 und 2021 einen sechsstelligen Betrag, wobei der Eigenanteil aufgebracht werden konnte, ohne aktuelle Unterstützungen oder Spenden verwenden zu müssen.

„Wir haben lange für eine Unterstützung der Bundesregierung zur Verbesserung der kleinen Kinos gekämpft, die mit ihrem aufwändig kuratierten Programm Vielfalt bieten“, so Theaterleiter Matthias Damm. „Auch wenn es ein schwacher Trost ist: Immerhin können wir die Schließung des Casablanca dafür nutzen, es so schön und komfortabel zu machen wie noch nie. Ich bin mir sicher, dass wir nach dem Ende der Pandemie an das Jahr 2019 anschließen können, das bisher unser Rekordjahr war.“

Und so sah unsere Fassade aus – vielen Dank an die Kolleg/innen vom Mobilen Kino für die Lichttechnik!

25. Februar 2021


FFMOP 2021: Unsere Favoriten aus Saarbrücken

Das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken steht zu Unrecht im Schatten der bekannteren deutschen Festivals in Berlin, Hof und München. Aus Pandemie-Gründen konnte das diesjährige Festival nur online stattfinden, was aber den Vorteil hatte, dass gleich drei Mitarbeiter*innen des Casablancas die dortigen Filme sichten konnten. Sie stellen hier ihre Festivalfavoriten vor.


Das Filmfestival Max Ophüls Preis (kurz FFMOP) wurde 1980 gegründet und versteht sich als Forum für den gesamten deutschsprachigen Nachwuchsfilm, d.h. hier werden auch Filme aus Österreich und der Schweiz (ggf. mit Untertiteln) gezeigt. Es findet jährlich Ende Januar statt.
In den Sparten Spielfilm, Dokumentarfilm, mittellanger Film und Kurzfilm werden zahlreiche Preise vergeben. Ebenso gibt es einen Publikumspreis, Darstellerpreise und einen Ehrenpreis, der dieses Jahr an Wim Wenders ging. Zahlreiche Regisseur*innen und Schauspieler*innen wurden in Saarbrücken „entdeckt“ und sind mit ihren dort prämierten Debutfilmen einem größeren Publikum bekannt geworden.
Saarbrücken ist wie Hof ein Festival „zum Anfassen“. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren, insbesondere durch die Beliebtheit bei der Saarbrücker Bevölkerung, enorm angewachsen. Selbst an Wochentagen sind in vielen Nachmittagsvorstellungen die großen Kinosäle voll belegt. Die junge Filmemacher*innen brennen darauf, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen – was normalerweise durch die räumliche Nähe auch problemlos möglich ist. Dieses Jahr gab es zu jedem Wettbewerbsfilm ein aufgezeichnetes Filmgespräch und vereinzelt auch interaktive Diskussionen mit dem Publikum.

Die Favoriten unseres CasaAkademie-Leiters Rainer Mesch

Borga
Von York-Fabian Raabe
‚Borga’ war neben ‚Fuchs im Bau’ der Hauptgewinner des diesjährigen Festivals und wurde in den Kategorien Bester Spielfilm, Publikumspreis, Preis für den gesellschaftlich relevanten Film und Preis der ökumenischen Jury ausgezeichnet. Sein charismatischer Hauptdarsteller Eugene Boateng erhielt einen Sonderpreis. Borga sind Ghanaer, die es im Ausland zu vermeintlichen Wohlstand gebracht haben und wieder in ihr Heimatdorf zurückkehren. Der Film erzählt erstmals eine Geschichte aus afrikanischer Perspektive und handelt von zwei Brüdern, die einen unterschiedlichen Lebensweg gehen. Er ist erzählerisch dicht, schreckt nicht vor unschönen Wahrheiten zurück, bleibt jedoch hoffnungsvoll. Ein Film für die große Leinwand. Infolge des Preisregens können wir uns sicher auf einen Kinostart freuen, sobald dies wieder möglich ist.

Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen
Von Nadine Heinze und Marc Dietschreit
Das Thema „osteuropäische Pflegekraft betreut rund um die Uhr dementen deutschen Senior“ in einen unterhaltsamen, aber nicht oberflächlichen Publikumsfilm zu verwandeln, ist keine leichte Aufgabe. Noch dazu, wenn der alte Herr die Pflegerin für seine verstorbene Ehefrau hält und diese das Spiel mitspielt. Dieser Film schlägt nicht nur von der Handlung her unerwartete Kapriolen, sondern besticht in seiner Mischung aus Tragikomödie, Familiendrama, Sozialrealismus und – ja auch einem Schuss filmischen Märchens. Günther Maria Halmer und Emilia Schüle nehmen mit ihren Figuren für sich ein und auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Ein Kinoverleih steht bereits fest.

Wir Alle. Das Dorf.
Von Antonia Traulsen und Claire Roggan
Diese sehr sehenswerte Langzeit-Doku ist eigentlich eine Fernsehproduktion des NDR, würde aber hervorragend in unsere Agenda-Filmreihe passen. Mitten im Wendland will eine Gruppe gesellschaftlich engagierter Menschen ein eigenes Dorf gründen, in dem junge Familien, Senioren, aber auch Geflüchtete leben sollen. Der Film portraitiert einige von ihnen auf Augenhöhe, erzählt von Rückschlägen und Fortschritten, vom Widerstand der Anwohner und von Reflektionsprozessen der Dorfgründer. Ein sympathisches Sozialexperiment, von dem man gerne wüsste, wie es grundsätzlich und mit den gezeigten Protagonist*innen weitergeht. Er bietet wichtige gesellschaftliche und persönliche Denkanstösse, die über das gezeigte Projekt hinausgehen. Ihm wäre ein mutiger Kino-Verleih zu wünschen, wir wären dabei.

Die Favoriten unserer Programmkoordinatorin Laura Oehme

Der österreichische Film ‚Fuchs im Bau’ basiert auf den tatsächlichen Erfahrungen eines Gefängnislehrers mit unkonventionellen Unterrichtsmethoden. Im Film, für den Arman T. Riahi u.a. mit dem Preis für Beste Regie und dem Fritz-Raff-Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde, soll Hannes Fuchs (Aleksandar Petrović) die eigenwillige Pädagogin Elisabeth Berger (Maria Hofstätter) in einer Wiener Gefängnisschule ablösen. Doch diese hat andere Pläne und die Ereignisse um einer der Schülerinnen überschlagen sich. Das Klassenzimmer ist zu einem Raum in dem die straffällig gewordenen Jugendlichen „frei“ sein können und ebenso soziale Tabuthemen verhandelt werden – und das „ohne angestrengte Suspense, aber voller gefährlicher Stillen“ (aus der Begründung der Jury).

‚Dear Future Children’ von Franz Böhm ist ein absolut sehenswerter Dokumentarfilm, der drei junge Aktivistinnen aus drei Kontinenten und mit drei unterschiedlichen Anliegen vorstellt: Rayen aus Chile (soziale Gerechtigkeit), Hilda aus Uganda (Klimawandel) und “Pepper” aus Hongkong (Demokratiebewegung). Der Film ergründet eindrucksvoll warum die jungen Frauen entgegen aller Hoffnungslosigkeit bereit sind weitreichende persönliche Risiken in Kauf zu nehmen und gewann dafür in Saarbrücken den Publikumspreis in der Kategorie Dokumentarfilm.

Bei ‚The Case You’ handelt es sich um das eindrückliche Langfilmdebüt von Alison Kuhn, welches den wahren Fall eines groben Machtmissbrauchs in der Film- und Fernsehbranche aus Sicht der Betroffenen beleuchtet. Fünf Frauen berichten von einer traumatisierenden Casting-Erfahrung; die reduzierten filmischen Mittel (Theatersaal als Drehort; minimalistischer Soundtrack; kleines Film-Team) unterstreichen die individuelle aber auch universelle Tragweite derartiger Übergriffe im Kontext der aktuellen MeToo-Debatte. Der Film wurde in Saarbrücken mit dem Preis für Beste Musik in einem Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Die Favoriten unseres Theaterleiters Matthias Damm

Der Eröffnungsfilm ‚A Black Jesus‘ ist ein Glücksfall von einem Dokumentarfilm. Eine gute Idee, gute Protagonisten und gute Umsetzung – da nimmt man dem Film auch nicht krumm, dass sicher im Detail einiges mehr inszeniert ist als behauptet wird. Die Idee: Im Dorf Siculiana auf Sizilien wird eine schwarze Jesus-Statue verehrt – die Prozession zu Ostern, bei der die Statue von Männern aus dem Dorf durch die Straßen getragen wird, ist der Höhepunkt des Jahres. Regisseur Lucas Lucchesi stammt aus Siculiana – und hat auch miterlebt, wie die beschauliche Welt seines Dorfes zum Schauplatz der Weltpolitik wird, seit an den Stränden Flüchtlinge aus Nordafrika ankommen und das Dorf zum Opfer der italienischen Flüchtlingspolitik wird, die offenkundig nicht helfen will, sondern die Unterbringung der Flüchtlinge im damit völlig überforderten Dorf nutzt, um die Lage zuzuspitzen. Lucchesi erzählt die Geschichte des schwarzen (also: aus schwarzem Holz geschnitzten) Jesus und gleichzeitig die der schwarzen (und streng gläubigen) Flüchtlinge, deren Traum es wird, zum Teil des Rituals zu werden und den schwarzen Jesus tragen zu dürfen. Der Traum wird wahr – und es kommt zu Begegnungen zwischen Flüchtlingen, Wohlwollenden im Dorf (wie dem engagierten Italienisch-Lehrer und dem für die Prozession verantwortlichen Priester) und den weniger wohlwollenden Überforderten. Der schwarze Jesus löst keines der Probleme – aber Lucchesis Film zeigt meisterhaft ihre Komplexität, heruntergebrochen auf die einfachen Mechanismen eines, seines Dorfes.

Filmemachen ist Experimentieren, Ausprobieren, Visualisieren von Ideen. Man merkt einem Film an, wenn er von Tatendrang und Schaffenswillen getrieben ist und nicht von den Vorgaben der Förderer und Fernseh-Redaktionen. Wie großartig das gelingen kann, hat für mich schon lange kein Film mehr so gut gezeigt wie ‚Die Sonne brennt‘ von Joséphine Demerliac, die damit ihr Spielfilmdebüt vorlegt. Ihre Protagonistin ist Zou (die im Abspann nur so heißt, tatsächlich aber die Regisseurin selbst ist), eine junge Frau aus Frankreich, die sich durch einen heißen Sommer in Berlin treiben lässt, in komplizierten Gefühlen zwei Männern gegenüber steht und den Unbillen der Generation Praktikum ausgesetzt ist. Viel Handlung gibt es nicht in diesem nur 75 Minuten kurzen Film, aber eine Abfolge aus Szenen, die alle echt wirken, mit großartigen Dialogen und toller Musik. Ein Film, der das Gefühl erzeugt, dass man seiner Protagonistin ganz nah gekommen ist.

Wer hätte das gedacht – Väter erkennt man offenbar vor allem an ihrem Niesen. Das ist nicht die wichtigste Erkenntnis aus ‚Väter Unser‘ von Sophie Linnenbaum, aber sie illustriert, was dieser Film kann: Sechs sehr unterschiedliche Menschen (offenbar aus einer großen Zahl von Personen ausgewählt, die in umfangreichen Vorrecherchen befragt wurden) erzählen Geschichten über ihre Väter. Formell denkbar unspektakulär umgesetzt sitzen sie vor schwarzen Hintergründen und erzählen ihre bewegenden, bedrückenden, witzigen oder traurigen Geschichten. Sophie Linnenbaum (die übrigens aus Nürnberg stammt) schafft es, ohne es jemals in Worte fassen zu müssen ein Bild dessen zu entwerfen, was Väter sein können, sollten und müssen. Ein Film, der Gedanken in Gang bringt – dem eigenen Vater gegenüber und auch über die eigene Rolle als Vater.

11. Februar 2021